Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. Zuerkennung der Pflegestufe II nach Art 45 PflegeVG. Herabstufung bei Verringerung des Pflegebedarfs

 

Orientierungssatz

1. Nach Art. 45 Abs. 1 PflegeVG werden pflegebedürftige Versicherte, die bis zum 31. März 1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 bis 57 SGB V erhalten haben, mit Wirkung vom 01. April 1995 ohne Antragstellung in die Pflegestufe II eingestuft und erhalten Leistungen nach dem SGB XI in entsprechendem Umfang.

2. Dieser partielle Bestandsschutz macht § 48 SGB X nicht unanwendbar, bewirkt aber, dass wenn die Zuerkennung der Pflegestufe II allein auf dem Bezug krankenversicherungsrechtlicher Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit bis zum 31.3.1995 (Art 45 PflegeVG) beruht, der Versicherte nur dann in die Pflegestufe I herabgestuft werden kann, wenn sich der Pflegebedarf aufgrund seit dem 1.4.1995 eingetretener Umstände verringert hat (Vergl. BSG, Urteil vom 13. März 2001 - B 3 P 20/00 R -).

3. Das Gesetz bietet keine Grundlage für die Berücksichtigung eines Hilfebedarfs in Form einer ständigen Anwesenheit und Aufsicht einer Pflegeperson zur Vermeidung einer möglichen Selbst- oder Fremdgefährdung eines geistig Behinderten (vgl. BSG Urteil vom 26. November 1998- B 3 P 13/97 R -).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger über dem 31. August 2000 hinaus Leistungen der Pflegestufe II zustehen.

Der am 1986 geborene Kläger ist aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung - alkoholtoxische Embryopathie - geistig behindert. Er erhielt bis zum 31. März 1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach dem bis dahin geltenden § 53 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V -. Dazu war am 16. Juni 1994 eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung - MDK - erfolgt, die bestätigte, dass - weiterhin - die Voraussetzungen für Schwerpflegebedürftigkeit vorliegen. Eine weitere Begutachtung durch den MDK (Gutachter: Kinderärztin Dr. S und Pflegefachkraft W) fand am 07. Dezember 1994 statt. Darin heißt es, es liege ein der Pflegstufe II entsprechender Hilfebedarf vor (mindestens drei Stunden). Es handele sich um einen Grenzbefund zur Stufe I. Der Umfang der pflegerischen Versorgung sei über das Alter hinausgehend. Vorrangiger Hilfebedarf bestehe aber in Anleitung, Aufsicht und Kontrolle, weshalb eine Nachuntersuchung in zwei Jahren empfohlen werde.

Mit Bescheid vom 16. Februar 1995 bewilligte die Beklagte anstelle der bisherigen Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit vom 01. April 1995 an Leistungen der Pflegestufe II nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI -.

Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte am 12. Dezember 1996 eine erneute Begutachtung des Klägers durch den MDK (Gutachterin Fachärztin für Kinderheilkunde Dipl. med. A). Sie gab an, der Kläger habe bei den gesetzlich definierten Verrichtungen gegenüber einem gleichaltrigen, gesunden Kind einen erhöhten Pflegebedarf. Der zusätzlich erforderliche Bedarf ordne sich der Pflegestufe I zu. Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Gewährung der Pflegestufe II seien nicht gegeben. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen anamnestisch angegebenem und tatsächlichem Hilfebedarf. Die Pflegeeltern bezögen sich in ihren Angaben auch auf Zeiten für Beaufsichtigung und Beschäftigung. Prognostisch erscheine eine Zunahme der Selbstständigkeit bei einfühlsamer Förderung möglich. Aufgrund eines - nicht in den Verwaltungsakten enthaltenen - Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme der Gutachterin A vom 26. Oktober 1997 ein und veranlasste eine erneute Untersuchung durch den MDK, die am 08. April 1998 stattfand. In dem dazu erstellten Gutachten vom 06. Juli 1998 (Gutachter Dr. S und Pflegefachkraft N) wurde ausgeführt, seit Dezember 1996 entspreche der Hilfebedarf der Pflegestufe I. In den Bereichen der Grundpflege benötige der Kläger Hilfen im Gesamtumfang von 93 Minuten täglich. Am 15. Juni 2000 erfolgte eine weitere Untersuchung des Klägers durch den MDK (Gutachterinnen K und S). In ihrem Gutachten vom 21. Juni 2000 ermittelten sie einen Zeitaufwand in der Grundpflege von 66 Minuten täglich. Weiterhin heißt es, aufgrund deutlicher Entwicklungsfortschritte zum Vorgutachten vom 07. Dezember 1994 sowie einer Adaption an die Behinderung habe sich der Hilfebedarf eindeutig verringert, insbesondere bei der Verrichtung Darm-/Blasenentleerung (nur noch Nachsäubern nach Stuhlgang erforderlich, kein Einnässen) und bei der Verrichtung An-/Auskleiden (bei der Vorbegutachtung Anleitung und Kontrolle, jetzt nur noch Impulsgabe und Zurechtlegen der Kleidung erforderlich). Bei intensiver Förderung seien weitere Entwicklungsfortschritte zu erwarten.

Nach Anhörung des Klägers und Aushändigung einer Kopie des zuletzt erstellten Gutachtens hob ...

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