Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bei vom Anwendungsbereich des SozSichAbk YUG erfassten Flüchtlingen des Jugoslawienkrieges. Kindererziehung im Bundesgebiet. tatsächlicher Aufenthalt. gewöhnlicher Aufenthalt. Aufenthaltsgleichstellung
Orientierungssatz
Art 3 Abs 1 Buchst a SozSichAbk YUG iVm Art 4 Abs 1 S 1 SozSichAbk YUG bewirkt, dass abweichend vom Erfordernis des "gewöhnlichen Aufenthalts im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland oder in Bosnien-Herzegowina genügt.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2019 geändert.
Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 9. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2018 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. März 2017 bis 31. August 2018 höhere Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten vom 18. Februar 1993 bis 28. Februar 1995, vom 1. Februar 1998 bis 31. Januar 2001 und vom 1. Juli 2004 bis 22. Mai 2006 sowie von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vom 18. Februar 1993 bis 22. Mai 2006 zu gewähren.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahrens hat die Beklagte zu tragen, im Berufungsverfahren die Beklagte und die Beigeladene jeweils hälftig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 1964 geborene Klägerin ist bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige und lebte zuletzt in S. Sie reiste 1993 mit ihrem am 1992 geborenen Sohn A nach Deutschland ein und beantragte „wegen der derzeitigen Bürgerkriegssituation in meinem Heimatland vorübergehenden Aufenthalt in Deutschland". Das Landeseinwohneramt Berlin - Ausländerbehörde - (LEA) lehnte mit Bescheid vom selben Tag einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab und erteilte sodann regelmäßig befristete Duldungen, welche jeweils mit dem Eintrag „Arbeitsaufnahme mit Erlaubnis des Arbeitsamtes erlaubt" versehen waren. Am 8. August 1996 beantragte die Klägerin bei der Ausländerbehörde eine „Orientierungsreise". Mit Bescheid vom 13. Januar 1997 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die Bürgerkriegssituation mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages als beendet angesehen werde. Eine Rückführung sei ab 1. Mai 1997 vorgesehen. Mit ihrem Widerspruch dagegen, der mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1997 zurückgewiesen wurde, beantragte die Klägerin zugleich eine Aufenthaltsbefugnis, weil in Bosnien-Herzegowina für sie als Muslimin mit Übergriffen zu rechnen sei. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 11. Juli 1997 abgelehnt. Wegen einer am 8. Juli 1997 attestierten Risikoschwangerschaft wurde die Duldung zunächst für sechs Monate verlängert. Weitere Duldungen schlossen sich nach Geburt ihres Kindes I am 17. Januar 1998 an. Am 8. März 1999 teilte das LEA der Klägerin mit, dass eine fiktive Zustimmung Bosnien-Herzegowina zu ihrer Rücknahme vorliege. Weitere Duldungen für jeweils sechs Monate wurden wegen attestierter Reiseunfähigkeit und eines posttraumatischen Belastungssyndroms erteilt. Mit Bescheid vom 16. Januar 2004 lehnte das LEA den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis vom 5. Juni 2001 ab. Eine am 1. März 2004 endende Duldung wurde aufgrund einer Risikoschwangerschaft der Klägerin zunächst bis zum 15. Juli 2004 verlängert, in der Folgezeit wegen laufender Rücknahmeersuchen auch für Serbien und einer Aktenanforderung der Härtefallkommission bis zum 21. März 2005. Der Asylantrag der Klägerin vom 21. März 2005 wurde am 2. Februar 2006 abgelehnt und die Abschiebung zunächst bis 24. April 2006 ausgesetzt und die Duldung anschließend für 18 Monate verlängert. Seit dem 23. Mai 2006 ist die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
Auf den Antrag der Klägerin vom 15. Juli 2015 bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2016 Rente wegen voller Erwerbsminderung (EM) vom 1. September 2015 bis 31. August 2018. Die Rentenberechnung erfolgte unter Zugrundelegung einer Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung (BZK) für die geborene Tochter E ab 16. November 2007. Am 5. Mai 2017 beantragte die Klägerin die Überprüfung ihres Rentenbescheides im Hinblick auf Kindererziehungszeiten (KEZ), weil sie bereits seit 2005 über einen Aufenthaltstitel verfügt habe. Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin ab 1. September 2015 neu unter Berücksichtigung einer KEZ vom 23. Mai 2006 bis 30. Juni 2007 und einer am 23. Mai 2006 beginnenden BZK. Dieser Bescheide enthielt den Hinweis, dass erst ab Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vom 23. Mai 2006 eine Anerkennung von KEZ und BZK möglich sei. Der Bescheid ergehe aufgrund des Widerspruchs vom 5. Mai 2017, dem damit teilweise abgeholfen werde. Mit Bescheid vom 9. Juni 2017 b...