Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Vorliegen eines Unfallereignisses. Abgrenzung eines äußeren Ereignisses zu krankhaften Störungen im Inneren. geeigneter Unfallhergang. Anheben eines Reifens beim Reifenwechsel. Einriss der körperfernen Bizepssehne
Orientierungssatz
1. Ein Unfallereignis erstreckt sich auch auf Geschehnisse, die im Rahmen der versicherten Tätigkeit "üblich" sind. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen.
2. Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu Selbstschädigungen. Nicht geschützt sollen Unfälle sein, die auf aus dem Menschen selbst kommenden Ereignissen beruhen. Eine nicht durch äußere Umstände veranlasste, vom Willen des Versicherten getragene und gesteuerte Eigenbewegung ist kein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 19. Juni 2006 als Arbeitsunfall.
Der 1962 geborene Kläger war Filialleiter bei der P S Autoservice GmbH. Am 19. Juni 2006 gegen 17 Uhr verspürte er beim Anheben eines seitlich von ihm liegenden Reifens eines Kleintransporters mit einem Gewicht von 25 kg mit dem rechten Arm einen heftigen Schmerz sowie ein Knallen in der rechten Ellenbeuge, so dass er den Reifen wieder ablassen musste und mit der Montage nicht fortfahren konnte. Das Anheben derartiger Lasten gehörte zu seinen täglichen Arbeitsaufgaben. Am nächsten Tag stellte er sich wegen zunehmender Beschwerden erst beim Hausarzt und dann im Städtischen Klinikum B vor, wo eine partielle Ruptur der distalen (i. e. körperfernen) Bizepssehne diagnostiziert und eine Gipsschiene verordnet wurde. Eine Operation erfolgte nicht. Die Röntgenuntersuchung ergab keine knöcherne Schädigung des Ellenbogens. Bei Beugung des rechten Ellenbogengelenks bestanden ein Schmerz in der Ellenbeuge sowie eine Kraftminderung. Die körperferne Bizepssehne war palpatorisch nachweisbar, jedoch druckschmerzhaft. Neurologische Ausfälle bestanden nicht (Durchgangsarztberichte ≪DAB≫ des Dr. R sowie des Dr. B, jeweils vom 20. Juni 2006).
Die Beklagte lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses mit Bescheid vom 11. September 2007 ab, da es sich bei dem Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Eine willkürliche Muskelanspannung sei nicht geeignet, einen traumatischen Bizepssehnenriss zu verursachen. Dem trat der Kläger mit seinem Widerspruch vom 18. September 2007 entgegen und vertrat die Auffassung, für ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis i. S. d. § 8 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) sei eine Unfreiwilligkeit nicht erforderlich. Des Weiteren übermittelte er eine Gesamtleistungsauskunft seiner Krankenkasse vom 30. Mai 2007 und verwies auf einen am 27. Juni 2006 erlittenen Hirninfarkt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08. Juli 2008 zurück. Ergänzend führte sie darin zur Begründung aus, selbst wenn es sich um ein äußeres Ereignis gehandelt habe, fehle es jedenfalls an einem hinreichend wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis und dem Gesundheitsschaden (Teilriss der körperfernen Bizepssehne).
Die hiergegen vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobene Klage hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 21. Juli 2009 u. a. unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 26. Januar 2009 - L 1 U 361/08 - abgewiesen. Es fehle hier an einem äußeren Ereignis und im Übrigen an einer Kausalität i. S. d. Theorie der wesentlichen Bedingung des Geschehens für den Eintritt des Gesundheitsschadens.
Mit seiner am 31. August 2009 bei dem LSG Berlin-Brandenburg eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein vorinstanzliches Begehren fort. Er weist u. a. darauf hin, dass eine schematische Betrachtungsweise nicht möglich sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Juli 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 2008 aufzuheben und festzustellen, dass das Ereignis vom 19. Juni 2006 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zunächst einen Befundbericht des behandelnden Chirurgen/Unfallchirurgen/Orthopäden Dr. J vom 14. Dezember 2009 eingeholt. Anschließend hat der Senat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Dr. P vom 19. Dezember 2010 eingeholt. In dem nach einer Untersuchung des Klägers am 23. September 2010 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Schluss gelangt, Folge des Unfalls sei eine Partialruptur der distalen Bizepssehne gewesen....