Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. rechtsstaatswidrige Verfolgungsmaßnahmen in der ehemaligen DDR. schwere Angst- und Zwangsstörung. Kausalität. Gleichwertigkeit mehrerer Ursachen. wesentliche Bedingung. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit. Versorgungsmedizinische Grundsätze. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Zugunstenverfahren nach § 44 SGB 10. offengebliebenes Widerspruchsverfahren
Orientierungssatz
1. Die in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" bzw in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Anlage zu § 2 VersMedV) enthaltenen allgemeinen Festlegungen können auch im Verfahren über die versorgungsrechtlichen Auswirkungen rechtsstaatswidriger Verfolgungsmaßnahmen in der ehemaligen DDR nicht durch Einzelfallgutachten widerlegt werden.
2. Lässt sich eine Gesundheitsstörung eines Betroffenen gleichwertig auf mehrere Ursachen zurückführen, von denen nur eine in einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung in der DDR begründet ist, so besteht jedenfalls dann kein Anspruch auf Versorgungsleistungen aufgrund dieser Verfolgungsmaßnahme, wenn ihr ursächlicher Anteil an der Erkrankung weniger als 50 Prozent ausmacht (hier ein Drittel) und insoweit nicht wesentlich ist.
3. Einzelfall zur Prüfung versorgungsrechtlicher Ansprüche wegen eines im Rahmen von rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen in der ehemaligen DDR erlittenen Gesundheitsschadens in Form einer schweren Angst- und Zwangsstörung.
4. Wenn Rechtsbehelfsfristen noch laufen oder ein Rechtsbehelfsverfahren noch nicht abgeschlossen ist (hier mangels Erledigung eines noch offenen Widerspruchsverfahrens), wird das Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 im Regelfall nicht benötigt (vgl BSG vom 27.7.2004 - B 7 AL 76/03 R = SozR 4-4300 § 330 Nr 2).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.
Der 1941 geborene Kläger ist unter anderem gelernter Zugführer (Zeugnis der Deutschen Reichsbahn vom 1964) sowie ausgebildeter Facharbeiter für den Betriebs- und Verkehrsdienst der Deutschen Reichsbahn (Facharbeiterzeugnis der Deutschen Reichsbahn vom 1967). Er war ausweislich seines Arbeitsbuches vom 5. November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G beschäftigt.
Ausweislich eines Schreibens des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - Außenstelle Frankfurt (Oder) - (nachfolgend: Bundesbeauftragter) vom 8. November 1999, das zahlreiche Anlagen enthält, wurde von Mitarbeitern der Kriminalpolizei mit dem Kläger am 25. März 1966 ein Kontaktgespräch geführt, in dessen Ergebnis er sich bereit erklärte, der Kriminalpolizei, die auf dem Bahnhof G ermittelte, zu helfen. Weitere Kontaktgespräche fanden am 4. und 19. April 1966 statt. In Letzterem berichtete er über Kollegen und Unregelmäßigkeiten auf dem Bahnhof. Der Kläger sollte nun als inoffizieller Mitarbeiter (IM) geworben werden. Laut Vorschlag der Anwerbung bestand das Ziel der Werbung darin, nach mehreren Unregelmäßigkeiten und Vorkommnissen auf dem Bahnhof G mit Hilfe eines IM die Kollegen dieser Brigade zu analysieren und nach der Ermittlung Tatverdächtiger diese „operativ zu bearbeiten“. Im Übrigen bestand der Verdacht von Schmuggelgeschäften zwischen polnischen und deutschen Eisenbahnern sowie schwerpunktmäßig auftretenden Eigentumsdelikten. Ein nächstes Kontaktgespräch fand am 5. Mai 1966 statt, ehe der Kläger am 13. Mai oder 13. Juni 1966 als IM geworben wurde und sich bereit erklärte, die Kriminalpolizei bei der Aufdeckung strafbarer Handlungen zu unterstützen. Der Kläger unterschrieb eine entsprechende Verpflichtung und wählte den Decknamen „L“. Nach dem genannten Schreiben des Bundesbeauftragten lassen sich Art und Umfang der weiteren Zusammenarbeit nur anhand von Einschätzungen und Aktenvermerken nachweisen. Aus einem Auskunftsbericht vom 14. Mai 1968 geht dabei hervor, dass in der Zeit nach der Werbung 17 Treffen durchgeführt wurden, bei denen der Kläger stets sicher erschienen sei und sich immer sachlich und aufgeschlossen verhalten habe. Im April 1968 habe der Kläger sein Arbeitsverhältnis beim Bahnhof G aufgelöst und eine neue Tätigkeit aufgenommen. Zu einem für den 12. Juni 1968 vereinbarten Treffen sei der Kläger nicht erschienen; es...