Wann sind Pflegepersonen unfallversichert?
Der seinerzeit 28-jährige Kläger lebte zusammen mit seinem Lebensgefährten in einer gemeinsamen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Der Lebensgefährte war pflegebedürftig (Pflegegrad 3), unter anderem aufgrund eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Der Kläger pflegte ihn.
Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers sowie ein Schädelhirntrauma aufgrund Angriff
Am 28.5.2018 gegen 01:15 Uhr verließ der Kläger die Wohnung. Im Hausflur wurde er nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung von zwei Jugendlichen angegriffen. Hierbei erlitt er eine Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers sowie ein Schädelhirntrauma. Die Jugendlichen stammten aus einer betreuten Wohngemeinschaft, die sich im selben Haus befand. Sie wurden vom Amtsgericht Tiergarten (Strafgericht) der gefährlichen Körperverletzung bzw. der Körperverletzung schuldig gesprochen.
Unfallkasse lehnt Anerkennung als Arbeitsunfall ab
Der Kläger wandte sich nach dem Vorfall an die Unfallkasse Berlin (Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung). Er gab an, er habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf dem Weg zum Auto befunden, um dort das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen. Die Unfallkasse Berlin lehnte es ab, das Ereignis vom 28.5.2018 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht Berlin blieb ohne Erfolg.
LSG: Angriff auf dem Weg zum Blutzuckermessgerät ist nicht unfallversichert
Auf die daraufhin vom Kläger eingelegte Berufung hat der 21. Senat des Landessozialgerichts mit seinem Urteil vom 9.11.2023 die Entscheidung des Sozialgerichts bestätigt. Er hat ausgeführt, dass das Ereignis vom 28. Mai 2018 keinen Arbeitsunfall darstelle. Der Kläger gehöre als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson zwar zum Kreis derjenigen Personen, die kraft Gesetzes unfallversichert seien. Auch sei der Gang des Klägers aus der Wohnung zum Auto als „Betriebsweg“ der pflegerischen Tätigkeit zuzurechnen. Die Angabe des Klägers, er habe die Wohnung verlassen, um das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen, könne insoweit als wahr unterstellt werden. Gleichwohl sei die gesetzliche Unfallversicherung im vorliegenden Fall nicht einstandspflichtig, da sich mit dem Angriff auf den Kläger kein Risiko verwirklicht habe, gegen dessen Eintritt der hier einschlägige Unfallversicherungstatbestand schützen solle.
Insoweit sei zu beachten, dass nicht jeder körperliche Angriff auf einem Betriebsweg unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung falle. Vielmehr sei der Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn der Angreifer aus persönlicher Feindschaft oder aufgrund von ähnlichen, aus privaten Beziehungen stammenden Beweggründen handle. So liege der Fall hier. Aus den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ergebe sich, dass der Kläger seine Wohnung am 28. Mai 2018 (auch) verlassen habe, um die Jugendlichen zur Rede zu stellen, nachdem ihm deren „merkwürdiges Verhalten am Fahrstuhl“ aufgefallen sei. Bereits zuvor sei es zu erheblichen Konflikten zwischen dem Kläger bzw. seinem Lebensgefährten und den in der Wohngemeinschaft betreuten Jugendlichen gekommen. Am 28. Mai 2018 sei Gegenstand des Streits eine Verschmutzung des Fahrstuhls mit weißer Farbe gewesen, für deren Verursachung die Jugendlichen den Kläger verantwortlich machen wollten. Der Kläger sei nicht Opfer der Körperverletzung geworden, weil er sich gerade auf dem Weg zum Auto (und damit zum Blutzuckermessgerät) befunden habe. Vielmehr sei wesentliche Ursache des Angriffs der vorbestehende persönliche Konflikt gewesen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Kläger kann bei dem Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.
Hinweis: LSG, Urteil v. 9.11.2023, L 21 U 85/21
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