Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialverwaltungsrecht: Verrechnung von offenen Forderungen aus Sozialversicherungsbeiträgen mit laufenden Sozialversicherungsleistungen. Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheides
Orientierungssatz
1. Die Aufrechnungs- bzw. Verrechnungserklärung eines Sozialleistungsträgers als Grundlage der Verrechnung einer offenen Forderung aus Sozialversicherungsbeiträgen mit laufenden Sozialleistungen (hier: Verrechnung von Beitragsschulden aus Sozialversicherungsabgaben mit laufenden Rentenleistungen) ist nur dann hinreichend bestimmt und damit als Grundlage der Verrechnung geeignet, wenn sie Art und Umfang der Forderungen in der Erklärung für den Empfänger der Verrechnungserklärung eindeutig bezeichnet.
2. Für die Annahme einer hinreichenden Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheides ist es erforderlich, dass sich schon aus dem Verfügungssatz ergibt, welche Forderungen in welchem Umfang und in welcher Rangfolge zum Erlöschen gebracht werden sollen. Allein die Nennung der gesamten zu verrechnenden Schuld genügt dabei der Bestimmtheit nicht, insbesondere wenn sich diese Schuld aus verschiedenen Forderungen (hier: Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge) ergibt.
3. Einzelfall zu den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheides bei geplanter Verrechnung von Schulden aus Sozialversicherungsbeiträgen mit laufenden Rentenleistungen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. März 2011 und der Bescheid der Beklagten vom 25. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2010 aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist die Wirksamkeit einer Verrechnung.
Die im Jahr 1945 geborene Klägerin erhält von der Beklagten gemäß Bescheid vom 11. Die monatliche Rente beträgt ab 01. April 2010 347,62 Euro abzüglich der Beitragsanteile der Kranken- und Pflegeversicherung laufend 312,51 Euro. Für die Zeit vom 01. Februar 2010 bis 31. März 2010 ist eine Nachzahlung von 625,02 Euro vorgesehen. Mit Bescheid vom 19. Oktober 2011 wurde die Regelaltersrente ab 01. Februar 2010 neu berechnet. Danach sollen laufend 351,07 Euro monatlich ausgezahlt werden.
Dem Antrag der Klägerin auf Versichertenrente aus dem Monat Dezember 2009 ist zu entnehmen: Sie war als Bürogehilfin tätig vom 21. Oktober 1961 bis 31. Juli 1963.Vom 01. August 1963 bis 31. März 1964 besuchte sie die Handelsschule. Von Dezember 1973 bis April 1979 war sie freiberuflich tätig. Vom 01. April 2003 bis 15. November 2006 betrieb sie als Selbständige einen Handel mit Kunstblumen.
Im August 1998 ermächtigte die Beigeladene die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, nachfolgend ebenfalls Beklagte genannt, ihre Forderung gegen die Klägerin gegen die Rentenleistung der Beklagten zu verrechnen: Sie habe eine einziehbare und nicht verjährte Forderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 01. Januar 1995 bis 31. Mai 1995 von insgesamt 7.879,30 DM beim Stand 15. September 1998 einschließlich der Säumniszuschläge in Höhe von 2.255 DM.
Im März 2010 forderte die Beklagte die Beigeladene auf, ihr Verrechnungsersuchen zu ergänzen im Hinblick auf Voraussetzungen, die das BSG im Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R gefordert hatte. Die Beigeladene teilte dazu im April 2010 der Beklagten mit, die Klägerin schulde ihr Gesamtsozialversicherungsbeiträge für ehemalige Beschäftigte der Firma KH für die Monate Januar 1995 bis Mai 1995. Die Beitragsforderung errechne sich für diesen Zeitraum wie folgt:
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Gesamtsozialversicherungsbeiträge |
2.831 Euro |
Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV bis 15. April 2010 |
5.061,79 Euro |
Verwaltungsgebühren |
17,45 Euro |
Kosten des Beitragseinzugs |
27,20 Euro |
Insgesamt: |
7937,44 Euro |
Hinzu kämen weitere Säumniszuschläge ab 16. April 2010 in Höhe von 28,12 Euro je angefangenen Monat bis zum Ausgleich der Hauptforderung. Die Forderung sei mit Beitragsbescheiden vom 16. Februar 1996 und 06. Juni 1996 tituliert.
Des Weiteren schulde ihr die Klägerin Sozialversicherungsbeiträge für ehemalige Beschäftigte der Firma FGbR für die Monate Mai 1989 bis Juni 1994. Die Beitragsforderung errechne sich für den Zeitraum wie folgt:
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Gesamtsozialversicherungsbeiträge |
42.526,05 Euro |
Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV bis 15. Februar 2007 |
72.300,49 Euro |
Kosten des Beitragseinzugs |
482,62 Euro |
Insgesamt: |
115.309,16 Euro |
Hinzu kämen weitere Säumniszuschläge ab 16. Februar 2007 in Höhe von 404,94 Euro je angefangenen Monat bis zum Ausgleich der Hauptforderung. Die Forderung sei mit Beitragsbescheid vom 14. August 1996 tituliert worden.
Mit Schreiben vom 20. April 2010 gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit, sich bis zum 14. Mai 2010 zur beabsichtigten Verrechnung zu äußern.
Mit Bescheid vom 25. Mai 2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, gegen ihre Rente in Höhe von 312,51 Euro werde...