Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittelregress wegen der Verordnung eines nicht zugelassenen Arzneimittels
Orientierungssatz
1. Eine den Arzneimittelregress rechtfertigende unwirtschaftliche Verordnung liegt dann vor, wenn der Vertragsarzt ein Arzneimittel verordnet, für das eine Leistungspflicht der Krankenkasse im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht besteht.
2. An der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie fehlt es, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, nicht erteilt worden ist.
3. Als zulassungspflichtiges Arzneimittel besaß Wobe Mugos E im Jahr 2000 weder in Deutschland noch EU-weit die erforderliche Zulassung.
4. Ein nicht zugelassenes Arzneimittel kann ausnahmsweise dann zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.
5. Es existiert keine wissenschaftliche Arbeit, die aufgrund einer kontrollierten Doppelt-Blind-Studie einen Nachweis für einen positiven Einfluss von Wobe Mugos E auf den Krankheitsverlauf des metastasierenden Mamma-Karzinoms erbringt.
6. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse unter Berücksichtigung des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip setzt präzise Angaben des Versicherten voraus, in welchen Zeiträumen welche konkreten Therapieformen mit welchem Ergebnis angewandt worden sind. Ohne solche Angaben kommt eine Leistungspflicht der Krankenkasse auch unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts nicht in Betracht.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin 5/6 und der Beklagte und die Beigeladene zu 2) gesamtschuldnerisch 1/6. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Regressforderung des Beklagten in Höhe von 798,46 € wegen der Verordnung des Präparates Wobe Mugos Urteil: E.
Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen - damals noch unter anderer Bezeichnung - im Verkehr (vgl. §§ 6ff Arzneimittelgesetz ≪AMG≫ vom 16. Mai 1961 mit späteren Änderungen). Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses rektal zu verabreichende Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei. Anwendungsgebiet war die “Unterstützung der Langzeitbehandlung bei Entzündungen und Virusinfektion (z.B. Zoster) / Langzeitbehandlung bei malignen Tumoren (prae- und postoperativ) / Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie / Metastasenprophylaxe„.
Die spätere neue Herstellerin, die M P GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, rechtskräftiges Urteil vom 7. April 2005, Az.: 5 B 8.03, veröffentlicht in Juris). Zum 1. September 2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Derzeit wird Wobe Mugos E als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Urteil vom 27. September 2005 (Az.: B 1 KR 6/04 R, veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war. In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe (sog. Nachzulassungs-Status). Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen vorauss...