Entscheidungsstichwort (Thema)
Behandlungs- und Versorgungsanspruch des gesetzlichen Versicherten. Zulassung von Arzneimitteln. Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie. Grundsatz des Off-label-use. Behandlung eines Mammakarzinom mit Wobe Mugos E
Orientierungssatz
1. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.
2. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Arzneimitteltherapie in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist.
3. Es fehlt deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, nicht erteilt worden ist.
4. Ein zugelassenes Arzneimittel kann grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt, es sei denn, es geht um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung, es ist keine andere Therapie verfügbar und auf Grund der Datenlage besteht die begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (Grundsatz des Off-label-use).
5. Zulässigkeit der Behandlung eines (metastasierten) Mammakarzinom mit Wobe Mugos E.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. April 2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen Regressforderungen des Beklagten in Höhe von insgesamt 6.730,38 € wegen der Verordnung des Präparates Wobe Mugos Urteil: E.
Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen - damals noch unter anderer Bezeichnung - im Verkehr (vgl. §§ 6ff Arzneimittelgesetz ≪AMG≫ vom 16. Mai 1961 mit späteren Änderungen). Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses rektal zu verabreichende Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei. Anwendungsgebiet war die “Unterstützung der Langzeitbehandlung bei Entzündungen und Virusinfektion (z.B. Zoster) / Langzeitbehandlung bei malignen Tumoren (prae- und postoperativ) / Zusatzbehandlung während der Strahlentherapie / Metastasenprophylaxe„.
Die spätere neue Herstellerin, die M. GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Juni 1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, rechtskräftiges Urteil vom 7. April 2005, Az.: 5 B 8.03, veröffentlicht in Juris). Zum 1. September 2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Derzeit wird Wobe Mugos E als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat mit Urteil vom 27. September 2005 (Az.: B 1 KR 6/04 R, veröffentlicht in Juris) entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war. In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe (sog. Nachzulassungs-Status). Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen voraussetzten. Seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den o.g. Bescheid vom 9....