Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wie-Berufskrankheit. Tatbestandsmerkmal. generelle Geeignetheit. Gruppentypik. Nachweis. kleines Berufs-Kollektiv. Volkskrankheit. bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule. Berufsgeigerin
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule einer Berufsgeigerin als Wie-Berufskrankheit mangels Nachweises der gruppentypischen Gefährdung des kleinen Berufs-Kollektivs der hohen Streicher.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. September 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist die Feststellung der Halswirbelsäulen- (HWS) Erkrankung der Klägerin als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) aufgrund ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit als Geigerin.
Für die im März 1947 geborene Klägerin erstattete der Facharzt für Orthopädie Dr. E unter dem 23. März 2001 eine ärztliche Anzeige wegen des Verdachtes einer BK. Die Klägerin leide unter Dyästhesien und Schmerzen im linken Arm und der linken Hand, Kraftlosigkeit im linken Arm, Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule sowie Nacken-Schulter-Schmerzen. Die Klägerin habe bis zu 10 Stunden täglich eine instrumentenbedingte unnatürliche Zwangshaltung der Halswirbelsäule und des Schultergürtels einnehmen müssen. Es lägen nunmehr degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit NPP C6/7 und eine zervikale Spinalstenose vor.
Zu ihrem beruflichen Werdegang gab die Klägerin an, von August 1965 bis Juli 1970 Musik (Violine) studiert und nach Abschluss des Studiums von August 1970 bis Juli 1972 als Geigenlehrerin, von August 1972 bis Juli 1992, von September 1992 bis Dezember 1993 sowie von Mai 1994 bis Mai 1998 als Geigerin in verschiedenen Orchestern gearbeitet zu haben. Im August 1992 und von Januar bis April 1994 sei sie zwar arbeitslos gewesen, habe aber täglich Geige gespielt.
Der mit der Begutachtung der Klägerin beauftragte Leiter des Europäischen Instituts für Bewegungsphysiologie - Musikermedizin, Tänzermedizin und Sportmedizin - Dr. L. führte in seinem Gutachten vom 28. September 2002 unter anderem aus, bei der Klägerin lägen ein chronisch rezidivierendes Zervikalsyndrom mit rezidivierender Wurzelsymptomatik, Wurzelirritationen bei Bandscheibenvorfall C5/6 und C6/7, ein pseudoradikuläres Zervikalsyndrom durch chronische Fehlhaltung und muskuläre Überlastung sowie eine initiale Coxarthrose beidseits ohne wesentliche Bewegungseinschränkung vor. Die Klägerin spiele seit ihrem elften Lebensjahr ca. 3 Stunden täglich Violine. In den darauf folgenden Studien- und Berufsjahren habe sie bis zu 10 Stunden täglich teilweise ohne Schulterstütze, lediglich mit einem Kissen, gespielt, dann einige Jahre mit einer so genannten KUN-Schulterstütze. Der Kinnhalter sei jeweils links neben dem Seitenhalter platziert gewesen. Anhand einer alten Fotografie aus ihrer Orchesterzeit lasse sich eine deutliche Halsprotraktion erkennen, ferner eine maximale Anspannung der Sterno-Cleido-Mastoideus Muskulatur rechts, weiterhin eine Schulterprotraktion beidseits bei vermehrter BWS-Kyphose. Beim Violinenspiel ohne entsprechende ergonomische Versorgung am Instrument müsse das Instrument, wie die Klägerin es richtig beschreibe, in einer außergewöhnlichen Zwangshaltung stabilisiert werden. Dies bedeute eine kyphotisch-rotatorische Fehlhaltung der Halswirbelsäule nach links, was zu einer dauernden statischen Belastung in Fehlhaltung führe. Des Weiteren komme es zu einer vermehrten Anspannung der Sterno-Cleideos-Mastoideus Muskulatur rechts sowie zu einer ständigen Elevation und Protraktion der linken Schulter. Es komme somit zu einer chronischen muskulären Überlastung und Fehlhaltung, weiterhin durch die ständige statische Belastung der Halswirbelsäule in Fehlhaltung zu einer Muskel- und Bänderüberlastung und infolge dessen zur Ernährungsstörung der Bandscheiben. Beide Wirbelsäulenerkrankungen seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das jahrelange Instrumentenspiel bei schlechter Ergonomie entstanden bzw. wesentlich mit verursacht worden. Es liege keine bandscheibenbedingte Erkrankung der BK 2109 zu Grunde. Die Erkrankung entspreche vielmehr der BK 2101, chronische Überlastung von Bändern, Muskeln und Muskelansätzen, woraus sich dann der vorzeitige Wirbelsäulenverschleiß erkläre.
Des Weiteren holte die Beklagte ein Gutachten des Prof. Dr. D. nach Aktenlage ein, der unter dem 8. Januar 2003 unter anderem ausführte, die bei der Berufsausübung der Klägerin erforderliche Haltung sei durch eine links oder/und nach vom geneigte Kopfhaltung und -drehung der Halswirbelsäule gekennzeichnet, die “Schulter-Kopf-Zwinge„ sei zum Halten des Instrumentes erforderlich. Auch die Nackenmuskulatur unterliege einem Spannungszustand. Währe...