Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung auch der Mietnebenkosten bei der Bemessung der Berufsausbildungshilfe
Orientierungssatz
1. Die Gewährung von Berufsausbildungshilfe nach § 56 SGB 3 hat u. a. die Förderungsfähigkeit des Antragstellers i. S. des § 57 SGB 3 zur Voraussetzung. Die persönlichen Voraussetzungen des § 60 SGB 3 sind erfüllt, wenn der Antragsteller über 18 Jahre alt ist und außerhalb des Haushalts seiner Eltern wohnt.
2. Bei der Anrechnung von Mietkosten nach § 61 Abs. 1 S. 3 SGB 3 sind nicht nur die reinen Mietkosten, sondern auch die Nebenkosten zu berücksichtigen.
3. Die Vorschrift des § 61 Abs. 1 S. 3 SGB 3 bedarf der Interpretation des Rechtsanwenders. Die seit dem 1. 8. 2019 geltende Fassung des § 61 SGB 3 nimmt auf § 13 Abs. 2 Nr. 2 BAföG ohne weitere Differenzierung Bezug. Bei dem offenen Wortlaut des § 61 Abs. 1 S. 3 SGB 3 sprechen Gründe der Gleichbehandlung nach Art. 3 GG dafür, dass auch Nebenkosten einer Eigentumswohnung, die mit deren Nutzung unmittelbar verbunden sind, als bedarfsdeckend zu berücksichtigen sind. Nichts anderes kann aufgrund der Bedarfsbezogenheit für die Berufsausbildungshilfe gelten.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. April 2018 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 29. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2015 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 3. August 2015 bis 31. Januar 2017 weitere Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von monatlich 70,- € zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung höherer Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 3. August 2015 bis 31. Januar 2017.
Die 1980 geborene Klägerin absolvierte ab 1. August 2015 eine dreijährige Berufsausbildung zur Tourismuskauffrau in einem Reisebüro (Ausbildungsvergütung bis 31. Juli 2016 mtl 567,- €, danach mtl 678,- €). Im Streitzeitraum bewohnte sie, ohne im Haushalt der Eltern bzw eines Elternteils zu leben, eine Eigentumswohnung, für die im Rahmen der Wohnungseigentümergemeinschaft ein mtl Hausgeld für Bewirtschaftungskosten und Instandhaltungsrücklage iHv 219,- € zu entrichten war. Ferner tilgte die Klägerin ein privat erhaltenes zinsloses Darlehen mit Zahlungen iHv mtl 70,- €. Am 3. Juni 2015 beantragte sie BAB, die ihr die Beklagte für die Zeit vom 3. August 2015 bis 31. Januar 2017 iHv mtl 90,- € bewilligte (Bescheid vom 29. Juli 2015); als Unterkunftsbedarf setzte die Beklagte mtl 149,- € an. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese eine vollständige Berücksichtigung des Hausgelds und der Tilgungszahlungen begehrte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 5. August 2015). Ein weiterer Unterkunftsbedarf bei einer Unterbringung außerhalb des elterlichen Haushalts sei nicht zu berücksichtigen.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Zahlung von BAB in dem in Rede stehenden Zeitraum iHv mtl insgesamt 160,- € gerichtete Klage abgewiesen, weil für die Kosten der Eigentumswohnung kein zusätzlicher Bedarf nach § 61 Abs. 1 Satz Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) zu berücksichtigen sei (Urteil vom 11. April 2018).
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt eine verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zwischen Mietern und Wohnungseigentümern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. April 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 29. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2015 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 3. August 2015 bis 31. Januar 2017 weitere Berufsausbildungsbeihilfe in Höhe von monatlich 70,- € zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge (BAB) der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung waren.
Die Beteiligten haben sich mit einer schriftlichen Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Klägerin steht im Streitzeitraum - wie von ihr beantragt - zzgl der von der Beklagten festgesetzten BAB iHv mtl 90,- € weitere BAB iHv mtl 70,- € zu.
Die Klägerin erfüllte im Streitzeitraum die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von BAB nach § 56 SGB III (in der hier anwendbaren, seit 1. April 2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Förderung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 - BGBl I 2854 -). Die berufliche Ausbildung war förderun...