Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsausbildungsbeihilfe. Einkommensanrechnung. Freibetrag bei Unterbringung außerhalb des Haushaltes der Eltern. Elternbegriff. Erzieher in einer Jugendhilfeeinrichtung
Orientierungssatz
Die Freibeträge in § 67 Abs 2 S 2 Nr 3 SGB 3 sind nur zu gewähren, wenn die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus nicht in angemessener Zeit erreicht werden kann. Erziehende Personen einer Jugendhilfeeinrichtung, in der der Auszubildende aufgewachsen ist, sind nicht als Eltern bzw Elternteil anzusehen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2020 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist höhere Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit vom 1. September 2017 bis 31. Januar 2019.
Die 1998 geborene Klägerin ist nicht bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen, hat zu diesen keinen Kontakt und stand seit 2002 bis zu ihrer Volljährigkeit unter Vormundschaft des zuständigen Jugendamts. Bis zum 31. August 2017 lebte die Klägerin in einer Jugendhilfeeinrichtung (Kinderhaus K), die ihre Arbeit zum 31. August 2018 eingestellt hat. Dort wurde sie von den Erziehern M W (W) und H D (D) betreut. Zum 1. September 2017 mietete die Klägerin eine 2-Zimmer-Wohnung in Berlin an, die sie mit ihrem Lebensgefährten bezog.
Für eine am 1. August 2017 begonnene Berufsausbildung zur Hotelfachfrau in B (Ausbildungsvertrag vom 5. April 2017) bewilligte die Beklagte BAB zunächst vorläufig (Bescheide vom 20. September 2017 und 4. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2018), dann endgültig (Bescheid vom 21. Februar 2018) in vorläufig bewilligter Höhe von mtl 85,- € für die Zeit vom 1. September 2017 bis 31. Januar 2019.
Mit ihrer auf den Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2018 erhobenen Klage macht die Klägerin höhere BAB unter Berücksichtigung von Fahrkosten nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) und eines Freibetrages iHv von mtl 62,- € nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III geltend. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 21. Februar 2018 und Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, der Klägerin höhere BAB unter Berücksichtigung eines monatlichen Freibetrages von deren Einkommen nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III iHv 62,- € zu gewähren (Urteil vom 30. November 2020). Zur Begründung ist ua ausgeführt: Der genannte Freibetrag komme zur Anwendung, weil die Erzieher W und D in H als Familie anzusehen seien. Insoweit seien über den Wortlaut der Vorschrift hinaus die Begrifflichkeiten aus § 63 Abs. 1 SGB III wertend heranzuziehen, weil es auch in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III darum gehe, dass die Ausbildungsstätte vom ursprünglichen Wohnort nicht in angemessener Weise erreicht werden könne. Eine Fahrkostenpauschale nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 SGB III sei indes nicht zu gewähren. Denn die Klägerin habe ihren eigentlichen Lebensmittelpunkt nicht mehr im Kinderhaus in H (K) gehabt, sondern in B.
Gegen ihre Verurteilung wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren, soweit das SG diesem nicht stattgegeben hat, mit der Anschlussberufung weiter. Auf die Berufungsbegründung vom 15. Januar 2021 und die Anschlussberufungsbegründung vom 25. Februar 2021 wird Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2020 aufzuheben, soweit dieses die Beklagte verurteilt hat, und die Klage insgesamt abzuweisen, ferner die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2020 und des Bescheides vom 21. Februar 2018 zu verurteilen, ihr höhere Berufsausbildungsbeihilfe auch unter Berücksichtigung der Fahrkostenpauschale nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 SGB III zu gewähren.
Die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die - zulässige - Anschlussberufung der Klägerin hat indes keinen Erfolg. Die Klage war daher (insgesamt) abzuweisen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben dem SG-Urteil (nur) der die vorläufigen Bewilligungen ersetzende und kraft Gesetzes (vgl § 96 SGG ) alleiniger Gegenstand des Verfahrens gewordene endgültige BAB-Bescheid vom 21. Februar 2018, mit dem die Beklagte die zuletzt mit vorläufigem Bescheid vom 4. Dezember 2017 gewährten Leistungen iHv mtl 85,- € für den Streitzeitraum vom 1. September 2017 bis 31. Januar 2019 endgültig bewilligt hat.
Gegen diesen Bescheide wendet s...