Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II. medizinische Behandlungspflege. keine Prüfung eines ggf höheren Anspruchs auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Bindungswirkung bestandskräftiger Bescheide
Leitsatz (amtlich)
Bescheide über den Umfang von Eingliederungshilfe binden im Rechtsstreit zwischen behinderten Versicherten und ihrer Krankenkasse wegen Leistungen der häuslichen Krankenpflege auch die Gerichte. Ob behinderten Versicherten ggf ein höherer Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe zugestanden hätte, ist in einem solchen Rechtsstreit daher nicht zu prüfen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte für die Behandlungspflege im streitigen Zeitraum der Klägerin 2.779,54 € zu erstatten hat und die Klägerin von Kosten in Höhe von 2.461,29 € gegenüber der Hauskrankenpflege R GmbH freizustellen hat.
Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin des Berufungsverfahrens sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten noch die Freistellung von Kosten für häusliche Krankenpflege für das tägliche An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen für die Zeit vom 1. September 2016 bis 31. Januar 2017 sowie vom 27. April 2018 bis 30. Juni 2018.
Die 1956 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet unter anderem an einer Intelligenzminderung, Varicosis, Ulcus cruris venosum links, Pergamenthaut, Ödemen beider Beine und chronischen unbeeinflussbaren Schmerzen. Sie bewohnt seit 1978 ein 1-Zimmer-Apartment der V eV (im Folgenden: V), dies auf der Grundlage einer Nutzungsvereinbarung mit der VfJ, Werkstätten für Behinderte. Die Klägerin arbeitet in der V (Werkstattvertrag vom 13. Februar 2004).
Bei der V handelt es sich um einen Träger in der Berliner Behindertenhilfe, der mit seinen Tochtergesellschaften V W GmbH und L gGmbH (L), einer gemeinnützigen Anbieterin von ambulanten Wohn- und Betreuungsformen (Beigeladene zu 1), Leistungen in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Bildung und Freizeit anbietet. Zu seinen Einrichtungen und Diensten gehören ausweislich seines Internetauftrittes Werkstätten und ihre Beschäftigungs- und Förderbereiche für beeinträchtigte Menschen, ambulant betreute Wohn- und Betreuungsformen, ein Integrationskindergarten und ein Freizeit- und ein Sportclub.
In einer zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 getroffenen Betreuungsvereinbarung über Betreutes Einzelwohnen (BEW) vom 28. April 2017 ist u. a. geregelt, dass Pflege-, medizinische, therapeutische und andere Leistungen von der Beigeladenen zu 1 nicht erbracht werden könnten (Punkt 2.4 der Vereinbarung). Die Beigeladene zu 1 unterstütze und berate auf Wunsch bei der Organisation externer Anbieter für diesen und andere Bereiche. „Die Maßnahme“ beginne am 1. Mai 2017 und sei mit 6,5 Stunden/Woche BEW vorgesehen. Eine Betreuungsvereinbarung für den Vorzeitraum existiert nach Angaben der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 nicht.
Der Beigeladene zu 2, das Land Berlin, bewilligte durch das Bezirksamt Neukölln von Berlin, Abteilung Soziales, der Klägerin für die Zeit vom 1. November 2015 bis 31. Oktober 2016 Eingliederungshilfe für Betreuungskosten im Rahmen des BEW durch die Beigeladene zu 1 mit einem Betreuungsumfang von 4 Stunden pro Woche (Bescheid vom 23. November 2015). Der Betreuungsumfang wurde durch Änderungsbescheid vom 18. Mai 2016 für die Zeit vom 1. April 2016 bis 31. Oktober 2016 auf 6 Stunden pro Woche erhöht. Durch weiteren Bescheid vom 23. November 2015 bewilligte der Beigeladene zu 2 im Rahmen der Eingliederungshilfe für die Zeit vom 1. November 2015 bis 31. Oktober 2017 Werkstattkosten in der V W GmbH.
Mit Bescheid vom 17. Oktober 2018 lehnte der Beigeladene zu 2 einen Antrag vom 12. Oktober 2018 auf die Übernahme von Kosten für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab. Denn es handele sich um behandlungspflegerische Maßnahmen, die in die Zuständigkeit der Krankenkasse fielen. Die Klägerin erhalte ambulante Eingliederungshilfe in Form von betreutem Einzelwohnen i.H.v. 6,5 Stunden für zwei bis drei Einzelkontakte pro Woche zur sozialen Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Behandlungspflegerische Tätigkeiten seien weder laut Konzeption noch in der entsprechenden Leistungsbeschreibung für Betreutes Einzelwohnen Teil dieser Maßnahme. Auch eine Gewährung aus Hilfe zur Pflege komme für behandlungspflegerische Maßnahmen nicht in Betracht.
Eine Verordnung häuslicher Krankenpflege wurde der Klägerin durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin - Hausärztliche Versorgung - S am 12. Juli 2016 für die Zeit vom 12. Juli bis 31. Dezember 2016 für das zweimal tägliche und sieben mal wöchentliche An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II ausgestellt.
Mit Bescheid vom 10. Aug...