Leitsatz (amtlich)

§§ 198 ff GVG idF des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV).

Ein Verfahren zur Herbeiführung einer Kostengrundentscheidung nach § 193 SGG stellt ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG dar.

Für die Beurteilung der nach § 198 Abs 1 S 2 GVG wesentlichen Bedeutung des Verfahrens ist allein eine objektivierte Betrachtung maßgeblich (Anschluss an BSG vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 1/16 R = BSGE 124, 136 = SozR 4-1720 § 198 Nr 16 = juris RdNr 35).

Einem Verfahren zur Herbeiführung einer Kostengrundentscheidung kann regelmäßig keine größere Bedeutung beigemessen werden als sie dem vorangegangenen Klageverfahren zugekommen wäre. Entschließt sich ein - einkommens- und vermögensloser - Kläger, unter Einschaltung eines Rechtsanwalts Rechtsstreitigkeiten um Bagatellbeträge zu führen, kann er sich bzgl des sich anschließenden Verfahrens zur Herbeiführung der Kostengrundentscheidung nicht darauf berufen, dass dieses Verfahren für ihn mit Blick auf die ihm drohenden Anwaltskosten von großer Bedeutung war. Da er das Risiko, mit Kosten belastet zu werden, die um ein Vielfaches über dem mit der Klage letztlich verfolgten Betrag liegen, gleichsam provoziert hat, sind seine Interessen insoweit nicht schützenswert.

In Verfahren, in denen Kostenfragen betreffende oder vorbereitende Nebenentscheidungen zu treffen sind, ist klar zwischen den Interessen der Beteiligten und denen ihrer Rechtsanwälte zu unterscheiden (Anschluss an BSG vom 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 18 = juris RdNr 41, 43).

Hat ein Verfahren zur Herbeiführung der Kostengrundentscheidung für einen Kläger aus der Sicht eines verständigen Dritten keine schützenswerte Bedeutung, ist im Falle der unangemessenen Dauer dieses Verfahrens regelmäßig die Wiedergutmachung auf sonstige Weise nach § 198 Abs 2 S 2, Abs 4 GVG ausreichend.

 

Orientierungssatz

Parallelentscheidung zum Urteil des LSG Berlin-Potsdam vom 24.8.2023 - L 37 SF 255/21 EK AS, das vollständig dokumentiert ist.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte hat 80 %, der Kläger 20 % der Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt noch eine Entschädigung in Höhe von weiteren 200,00 Euro zzgl. Zinsen wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin (SG) unter dem Aktenzeichen S 104 AS 406/19 geführten Verfahrens. Er rügt die Dauer des Verfahrens im Hinblick auf die nach Erledigung des Rechtstreits in der Hauptsache zu treffende Kostengrundentscheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 14. Januar 2019 erhob der Kläger durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten vor dem SG Untätigkeitsklage gegen das Jobcenter Neukölln (JC). Diese war gerichtet auf Bescheidung eines Reisekostenantrags vom 26. Juni 2018 wegen eines Meldetermins vom 06. Juli 2018. Beigefügt war eine vom 14. Mai 2018 datierende Vollmacht, mit der der Kläger seinen Bevollmächtigten "in Sachen K, D ./. Jobcenter Berlin Neukölln wegen SGB II/Grundsicherung/Arbeitslosengeld I u. II/Angelegenheiten im Zusammenhang" zur Rechtsvertretung bevollmächtigt hatte. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde nicht beantragt. Am 27. März 2019 erließ das JC einen Versagungsbescheid.

Mit Schriftsatz vom 5. April 2019 erklärte der Bevollmächtigte das Verfahren für erledigt und beantragte, dem JC die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Der Schriftsatz wurde am 11. April 2019 an das JC weitergeleitet und dieses zur Stellungnahme zum Antrag auf Kostenerstattung binnen fünf Wochen aufgefordert. Am 12. April 2019 ging die erbetene Stellungnahme des JC ein, mit der das JC die Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten ablehnte. Unter dem 17. April 2019 erfolgte eine Weiterleitung des Schriftsatzes an den Bevollmächtigten zur Stellungnahme binnen eines Monats. Hierauf teilte der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13. Mai 2019 mit, dass die Erwägungen des Beklagten zur Kenntnis genommen worden seien. Am 16. Mai 2019 wurde der Schriftsatz zur Kenntnis an das JC weitergeleitet. Weiter wurde der Vorgang in das Kostenfach verfügt. Mit Schriftsätzen vom 8. April 2020 und 27. November 2020 forderte der Bevollmächtigte das Gericht zu einer Kostenentscheidung auf.

Am 15. September 2021 erhob der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom selben Tag Verzögerungsrüge.

Mit - dem Bevollmächtigten am 28. Oktober 2021 zugestelltem - Kostenbeschluss vom 27. Oktober 2021 entschied das SG, dass das JC dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten hat.

Am 05. November 2021 hat der Kläger beim LSG Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe in Vorbereitung einer Entschädigungsklage wegen überlanger Dauer des Kostenverfahrens beantragt. Der Senat hat dem Kläger Prozesskostenhilfe mit - seinem Bevollmächtigten am 03. März 2022 zugestelltem - Beschluss vom 25. Februar 2022 hinsichtlich eines Entschädigungsansp...

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