Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 3 Monaten für ein Befangenheitsgesuch. besondere Klagefreudigkeit. exzessive und sachwidrige Inanspruchnahme von Gerichten. mutwilliges Prozessieren. Art und Weise der Prozessführung in anderen Verfahren. Verlängerung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit pro Instanz auf 18 Monate. vollständige Übertragung von restlicher Vorbereitungs- und Bedenkzeit auf die nächste Instanz. kein entschädigungsfähiger immaterieller Nachteil. Bedeutung des Ausgangsverfahrens. doppelt rechtshängig gemachte Grundsicherungsleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum

 

Leitsatz (amtlich)

§§ 198 ff GVG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV - juris: ÜberlVfRSchG).

Wird während des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens infolge eines Ablehnungsgesuchs ein anderer Spruchkörper mit der Sache befasst, sind im Verfahren über das Befangenheitsgesuch auftretende Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die einen Umfang von drei Monaten nicht übersteigen, nicht auf die dem Gericht im streitgegenständlichen Verfahren zustehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit anzurechnen.

Nimmt ein Kläger eine Gerichtsbarkeit exzessiv, wenn nicht gar aus sachfremden Zwecken in Anspruch, kann die den Gerichten regelmäßig im Umfang von zwölf Monaten zur Verfügung stehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit verlängert werden (hier: je Instanz auf 18 Monate).

Da Anknüpfungspunkt der Verfahrensdauer nach § 198 Abs 6 Nr 1 GVG das gerichtliche Verfahren insgesamt ist, ist eine Übertragung in einer Tatsachinstanz nicht in Anspruch genommener Vorbereitungs- und Bedenkzeiten auf die andere möglich.

Die Anzahl der von einem Kläger geführten Verfahren, die jeweiligen Streitgegenstände sowie die Art der Verfahrensführung können den Schluss zulassen, dass mangels seelischer Unbill kein entschädigungsfähiger immaterieller Nachteil eingetreten ist.

 

Orientierungssatz

1. Für eine nur anteilige Übertragung von nicht verbrauchter Überlegungs- und Bedenkzeit in die nächste Instanz besteht kein Anlass, da ein Kläger entschädigungsrechtlich nicht in Abhängigkeit davon stehen sollte, in welchem Verfahrensstadium die Verzögerungszeiten aufgetreten sind und auf welchen Verfahrensabschnitt er letztlich seinen Entschädigungsanspruch begrenzt.

2. Auch wenn es sich im Ausgangsverfahren um eine Klage auf Grundsicherungsleistungen handelt, kann eine nur durchschnittliche Bedeutung anzunehmen sein, wenn der Kläger seine Ansprüche schon vor Klageerhebung zum Gegenstand eines anderen Klageverfahrens gemacht hat und es um Ansprüche für lediglich ein halbes Jahr geht, das zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits vollständig in der Vergangenheit liegt.

 

Normenkette

GVG § 198 Abs. 1. S. 1, Abs. 1. S. 2, Abs. 2 S. 2, Abs. 6 Nr. 1, § 201 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; GRüGV Art. 23; SGG §§ 183, 197a, 202 S. 2, § 54 Abs. 5; GG Art. 34, 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6 Abs. 1

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 184 SO 2304/10 geführten Verfahrens. Dem inzwischen - im Berufungsverfahren vergleichsweise - beendeten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der seit 2005 Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) vom Jobcenter Berlin-Lichtenberg beziehende Kläger trat am 17. Februar 2010 eine Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt B-P an, die bis zum 16. August 2010 andauerte. Nachdem das Jobcenter daraufhin die erfolgte Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 17. Februar 2010 aufgehoben hatte, bewilligte der Sozialhilfeträger dem Kläger Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) in Gestalt der Übernahme der Wohnungsmiete ab April 2010, lehnte jedoch die Übernahme der Miete für März 2010 sowie der Stromabschläge für die Haftzeit und der Kontogebühren ab (vier Bescheide vom 20. April 2010). Im Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger daraufhin "die komplette Sozialhilfe nach dem SGB XII" und damit auch für den notwendigen Lebensunterhalt laufende und einmalige Leistungen, Beiträge zu den Sozialversicherungen und zum "Riestern" sowie Rechtsberatungskosten. Der Sozialhilfeträger erließ diesbezüglich zwei weitere Ablehnungsbescheide vom 09. September 2010. Mit zwei Widerspruchsbescheiden vom 15. September 2010 wies er die Widersprüche gegen sämtliche Bescheide zurück. Gegen sämtliche dieser Bescheide wandte der Kläger sich mit seiner am 18. Oktober 2010 eingegangenen - sich gegen den Sozialhilfeträger richtenden - "Klageschrift Nr. 19", nachdem die ursprünglichen Bescheide vom 20. April 2010 (abgelehnte Übernahme der Wohnungsmiete für März 2010 sowie der Stromabschläge für die Haftzeit und der Kontogebühren) bereits zuvor ...

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