Entscheidungsstichwort (Thema)

Gründungszuschuss. Vermittlungsvorrang. Ermessen

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 27. August 2019 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung eines Gründungszuschusses (GZ) für eine selbständige Tätigkeit als Tanztherapeutin.

Der 1984 geborene Klägerin verfügt seit Februar 2009 über eine abgeschlossene Ausbildung als Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (FH). Sie ist nach einer berufsbegleitenden Ausbildung zudem seit Januar 2015 berechtigt, den Titel Tanztherapeutin BTD (Berufsverband der Tanztherapeutinnen Deutschlands eV) zu führen. Die Klägerin war bis 31. Oktober 2015 versicherungspflichtig in der Kinder- und Jugendpsychiatrie beschäftigt, meldete sich zum 1. November 2015 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg), das ihr die Beklagte für 360 Tage bewilligte. Sie hatte sich bereits am 2. April 2015 bzw 10. Juli 2015 an die Beklagte gewandt und darauf verwiesen, dass sie sich als Tanztherapeutin selbständig machen wolle und sich für einen GZ interessiere.

Im Erstgespräch nach erfolgter Arbeitslosmeldung am 16. November 2015 wies die Klägerin auf die erstrebte Selbständigkeit hin, erkundigte sich erneut nach einem GZ und erläuterte, sie wolle keine Tätigkeit als Sozialpädagogin mit Kindern ausüben (was für die Vermittlerin „nachvollziehbar“ war; die Klägerin hatte nach ihrem Vorbringen den Aufhebungsvertrag geschlossen, weil sie in der 11. Woche ihr ungeborenes Kind verloren hatte und die Zustände in der Kinderpsychiatrie für sie nicht mehr psychisch verkraftbar gewesen seien, Bl 3 VA). In dem Gesprächsvermerk der Vermittlerin L (L) vom 16. November 2015 heißt es weiter, die Klägerin könne ihren Beruf dennoch ausüben und es seien genügend Stellenangebote vorhanden. Eine Unterstützung durch einen GZ sei daher nicht erforderlich; die Klägerin könne zeitnah integriert werden. Seitens der Arbeitsvermittlung sei Ziel die Arbeitsaufnahme als Sozialpädagogin, was in einer Eingliederungsvereinbarung (EV) vom selben Tag festgehalten wurde. Die Klägerin bewarb sich in der Folge auf die von der Beklagten übersandten Vermittlungsvorschläge. Mit E-Mail vom 11. April 2016 teilte die Klägerin mit, ihre Selbständigkeit werde am 1. Juni 2016 beginnen; die Beklagte meldete die Klägerin daraufhin zum 1. Juni 2016 aus der Arbeitsvermittlung und dem Alg-Bezug ab.

Am 26. April 2016 stellte die Klägerin telefonisch einen Antrag auf GZ. Der Formantrag ging bei der Beklagten am 31. Mai 2016 ein („Tanzträume & Tanztherapie“). Die Klägerin legte Businessplan, Kapitalbedarfsplan, Rentabilitätsvorschau, Liquiditätsplan, Finanzierungsplan und Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vor. Die Beklagte lehnte den GZ-Antrag mit Bescheid vom 14. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2016 ab mit der Begründung, die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis, für das hier ausreichend zu besetzende Stellen (20) gemeldet seien, habe Vorrang. Bei der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sei maßgebend gewesen, dass die Arbeitslosigkeit auch unter Berücksichtigung dessen, dass die Klägerin nicht in jedem Bereich der Sozialpädagogik tätig sein könne bzw wolle, ohne die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit hätte beendet werden können und die Klägerin dem Vermittlungsvorrang schon frühzeitig keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt habe, sondern sich habe selbständig machen wollen.

Die Klägerin meldete sich bereits am 26. Juli 2016 arbeitslos und beantragte Alg; dabei gab sie ua an, keiner Nebentätigkeit als Selbständige nachzugehen und aus gesundheitlichen Gründen keinen Einschränkungen für bestimmte Beschäftigungen zu unterliegen. In der EV vom 26. August 2016 vereinbarten die Beteiligten wiederum als Integrationsziel eine Aufnahme der Beschäftigung als Sozialpädagogin. In der Folgezeit meldete sich die Klägerin bis zur Alg-Anspruchserschöpfung am 26. Februar 2017 tageweise aus dem Alg-Bezug ab.

Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat die Beklagte im anschließenden Klageverfahren nach Vernehmung der L als Zeugin verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 1. Juni 2016 einen GZ für sechs Monate zu gewähren (Urteil vom 27. August 2019). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei begründet. Die Beklagte sei im Wege der Ermessensreduzierung auf „Null“ verpflichtet, den GZ, dessen tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt seien, für die Zeit ab 1. Juni 2016 zu leisten. Dies folge schon aus dem Ermessensfehlgebrauch der Beklagten, die nicht geprüft habe, ob die vorgeschlagenen Stellen für die Klägerin mit ihren psychischen Einschränkungen geeignet gewesen seien. Es handele sich bei der aufgenommenen selbständigen Tätigkeit als Tanztherapeutin um die einzige Maßnahme, mit der eine dauerhafte berufliche Eingliederung der Klägerin möglich sei. Der Beruf der Sozialpädagogin vermittele der Klägerin „keine berufli...

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