Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse
Orientierungssatz
1. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB 10 ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 39 Abs. 1 S. 1 SGB 10 wird der Verwaltungsakt gegenüber dem Betroffenen mit dessen Bekanntgabe wirksam. Enthält der Bescheid einen früheren Zeitpunkt für dessen Wirkung, so ist er rechtswidrig und damit aufzuheben.
2. Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes führt zu dessen vollständiger Aufhebung. Eine Teilbarkeit des Bescheides in zeitlicher Hinsicht ist ausgeschlossen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. März 2013 geändert und der Bescheid des Beklagten vom 3. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 3. April 2013 aufgehoben, soweit darin der Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2007 hinsichtlich der Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG aufgehoben wird.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Verfahren in zweiter Instanz zur Gänze und für das Verfahren in erster Instanz zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um die Rechtmäßigkeit der Entziehung des Merkzeichens aG.
Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 hatte der Beklagte beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, H sowie RF festgestellt. Mit Bescheid vom 3. November 2009 hob der Beklagte seinen Bescheid vom 31. Mai 2007 teilweise auf, setzte den GdB auf 70 herab und stellte weiter fest, die medizinischen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, aG, H und RF lägen nicht mehr vor. Die Änderungen sollten ab dem 3. November 2009 Wirksamkeit erlangen. Den hier gegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2010 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger sich gegen die Absenkung des GdB gewährt und darüber hinaus die Entziehung der Merkzeichen B, aG, H und RF angegriffen. Mit Datum vom 15. Juli 2011 hat der Beklagte ein von ihm sog „Teilanerkenntnis“ dahingehend abgegeben, dass ab dem 18. August 2010 der GdB 80 betrage und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichens B vorlägen. Dieses „Teilanerkenntnis“ hat der Kläger angenommen, die Klage jedoch zunächst fortgeführt. In der mündlichen Verhandlung am 19. März 2013 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben des Inhalts, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H weiterhin bestünden. Auch dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen und zugleich sein Klagebegehren bezüglich der Höhe des Grades der Behinderung und des Merkzeichens RF für erledigt erklärt. Die Teilanerkenntnisse hat der Beklagte mit Bescheid vom 3. April 2013 umgesetzt.
Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 19. März 2013 abgewiesen und dem Beklagten auferlegt, ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, beim Kläger lägen die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht vor.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. März 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 3. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2010 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 3. April 2013 aufzuheben, soweit darin der Bescheid des Beklagten vom 31. Mai 2007 hinsichtlich der Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG aufgehoben wird.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des medizinischen Sachverständigen Facharztes für Allgemeinmedizin und physikalische und rehabilitative Medizin Dr. S vom 19. Februar 2014. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit sie die im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche Entziehung des Merkzeichens aG betrifft, denn insofern ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,...