Entscheidungsstichwort (Thema)

Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigung zur Honorarberichtigung bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform Praxisgemeinschaft

 

Orientierungssatz

1. Die Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zur Honorarberichtigung nach § 106 SGB 5 umfasst auch Fälle der missbräuchlichen Nutzung der Kooperationsform Praxisgemeinschaft.

2. Ein solcher Formenmissbrauch liegt vor, wenn Ärzte ihre Zusammenarbeit im Innen- und Außenverhältnis so gestalten, wie dies für eine Gemeinschaftspraxis typisch ist. Nach Auffassung des BSG liegt eine für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinschaftliche Ausübung der zeitlichen Tätigkeit mit Behandlung eines gemeinsamen Patientenstamms vor, wenn zwei kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebiets mehr als 50 Prozent der Patienten gemeinsam behandeln (Anschluss BSG Beschluss vom 6. 2. 2013, B 6 KA 43/12 B).

3. Die KV ist berechtigt, das vertragsärztliche Honorar in den betroffenen Quartalen zu reduzieren. Die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigung setzt ein Verschulden des Vertragsarztes nicht voraus.

 

Normenkette

SGB V §§ 106, 106a Abs. 2; Ärzte-ZV § 33

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 17.02.2016; Aktenzeichen B 6 KA 50/15 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Richtigstellung seines Honorars und eine damit verbundene Honorarrückforderung in Höhe von 24.959,16 Euro.

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie. Er war vom 1. April 1986 bis zum 31. Dezember 2006 zur vertragsärztlichen Versorgung in Berlin F im fachärztlichen Versorgungsbereich zugelassen.

Seit dem 1. Januar 2005 führte der Kläger seine Praxis als Gemeinschaftspraxis (heute: Berufsausübungsgemeinschaft) mit dem Facharzt für Innere Medizin, Schwerpunkt Gastroenterologie, Dr. K.

Schon seit dem 1. Juli 1993 bildete der Kläger - seit 1. Januar 2005 als Gemeinschaftspraxis zusammen mit Dr. K - eine Praxisgemeinschaft mit dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. L, der zuvor seit 1990 als Praxisassistent in der Praxis des Klägers angestellt gewesen war.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2008 in der Fassung eines berichtigenden Bescheides vom 26. Februar 2008 hob die Beklagte im Ergebnis einer Plausibilitätsprüfung wegen auffällig hoher Patientenidentität mit der Praxis des Arztes L die Honorarbescheide des Klägers für die Quartale III/03 bis IV/04 auf, führte eine sachlich-rechnerische Berichtigung durch und kürzte das Honorar um insgesamt 24.670,04 Euro.

Mit weiterem Bescheid vom 20. Februar 2008 in der Fassung eines berichtigenden Bescheides vom 26. Februar 2008 hob die Beklagte im Ergebnis derselben Plausibilitätsprüfung den Honorarbescheid der Gemeinschaftspraxis des Klägers mit Dr. K für das Quartal I/05 auf, führte eine sachlich-rechnerische Berichtigung durch und kürzte das Honorar für dieses Quartal um 289,12 Euro (Gesamtkürzung Quartale III/03 bis I/05: 24.959,16 Euro).

Für die geprüften Quartale setzte die Beklagte als Aufgreifkriterium einen Grenzwert von 60 Prozent identischer Patienten an, ermittelte die Überschreitung dieses Grenzwerts und multiplizierte die Anzahl der den Grenzwert überschreitenden Patienten mit dem jeweils geltenden Fallwert, um so den jeweiligen Rückforderungsbetrag zu ermitteln:

Quartal

Insgesamt

abgerechnete

Patienten

Gemeinsame

Patienten

mit dem Arzt L

%       

Überschrei-

tung der

60 %-

Grenze

um %

Überschreitung

identischer

Patienten

(unzutreffend

berechnet)

Fall-

wert

Rückforderung

(Fallwert x

Überschreitung

identischer

Patienten)

Abzüglich

Verwaltungs-

gebühr

(2,4 %)

III/03

1.337 

1.137 

85,0   

25,0   

284     

54,09 €

15.591,60 €

374,20 €

IV/03 

1.470 

1.156 

78,6   

18,6   

215     

53,98 €

11.605,70 €

278,54 €

I/04   

1.303 

835     

64,1   

4,1     

34    

55,87 €

1.899,58 €

45,59 €

II/04 

1.331 

931     

70,0   

10,0   

93    

56,90 €

5.291,70 €

127,00 €

III/04

1.225 

948     

77,4   

17,4   

164     

55,05 €

9.028,20 €

216,67 €

IV/04 

1.338 

970     

72,5   

12,5   

121     

58,98 €

7.136,58 €

1.213,28 €

I/05   

1.548 

947     

61,2   

1,2     

11    

53,86 €

592,46 €

14.22 €

Summe:

51.145,82 €

Summe:

1.227,50 €

Durchschnitt:

989

Durchschnitt:

72,7

Rückforderung

insgesamt

netto:

49.918,32 €

Davon ½ =

24.959,16 €

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die Beklagte im Wesentlichen an: Für die hohe Anzahl der Doppelbehandlungsfälle gebe es keine Rechtfertigung; sie sei vielmehr auf eine ungenehmigte gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit im Sinne einer Gemeinschaftspraxis zurückzuführen. Stichprobenhaft ausgewählte Doppelbehandlungsfälle belegten die gemeinsame Behandlungstätigkeit. In zahlreichen Fällen seien dieselben Patienten aufgrund derselben Diagnosen am gleichen Tag von beiden Ärzten behandelt worden. Teilweise sei es lediglich zu ein bis zwei pa...

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