Entscheidungsstichwort (Thema)

Fremdrentenrecht. Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis

 

Orientierungssatz

Zur Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis zum Zeitpunkt des Einsetzens der deutschen Verfolgung im jeweiligen Herkunftsgebiet - hier Bessarabien (heute Moldau) - eines Juden, der als Verfolgter des Nationalsozialismus iS des § 1 BEG anerkannt ist.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Altersrente an den Kläger streitig.

Der 1923 in I, Bessarabien (heute Republik Moldau) geborene Kläger ist als Jude Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG). Nach dem Ende der Verfolgung lebte und arbeitete er in I und C, bis er 1980 nach Israel auswanderte, wo er seither als israelischer Staatsangehöriger lebt.

Am 29. November 1995 beantragte er beim israelischen Rentenversicherungsträger eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung. Er gab dazu im Laufe des Verfahrens unter Bezugnahme auf mehrere Zeugenerklärungen an, bis zu seinem 16. Lebensjahr 1939 in I. das Gymnasium des H. besucht zu haben, in dem Deutsch erste Fremdsprache gewesen sei. Anschließend habe er 1940/1941 Buchhalterkurse besucht, bevor er sich von Juli 1941 bis Februar 1945 auf der Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung befunden habe. Anlässlich der von der Beklagten veranlassten Sprachprüfung (am 18. November 1996 und am 15. Dezember 1996) hat er weiter angegeben, seine aus I. bzw. C stammenden Eltern hätten Deutsch, Russisch und Rumänisch gesprochen. Seine Großeltern väterlicherseits stammten aus T, das der wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt der Deutschen in Bessarabien gewesen sei. Im Elternhaus des Vaters sei daher Deutsch gesprochen worden. Seine Mutter habe als Kind einige Jahre in W. gelebt. Seine Mutter habe Privatstunden in Deutsch erteilt. Die Umgangssprache im Elternhaus und im persönlichen Lebensbereich sei Deutsch und Rumänisch gewesen. Unterrichtssprache im Gymnasium sei Rumänisch und Französisch gewesen. Seine im Jahre 1922 geborene spätere Ehefrau, die er 1947 geheiratet habe, habe Russisch, Deutsch und Rumänisch gesprochen. Umgangssprache in der Ehe sei Russisch gewesen, dies sei auch die Muttersprache seiner Kinder. Seit seiner Flucht nach Russland habe er kein Deutsch mehr gesprochen. Die Kommission stellte bei der Anhörung fest, dass der Antragsteller ein entwöhntes Deutsch spreche. Obwohl er nur wenig Deutsch in der Schule gelernt und seine schriftlichen Deutschkenntnisse nicht angewandt habe, sei er in der Lage gewesen, eine Schriftprobe zu erstellen. Er habe Deutsch unbefangen mit teilweisem Verständnis gelesen. Die Kommission sei der Meinung, dass er sein Deutsch aus dem Elternhaus habe und im Zeitpunkt der Verfolgung der deutschen Sprache und Kultur verbunden gewesen sei.

Mit Bescheid vom 9. Mai 1997 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Rente an den Kläger ab. Er habe keine in das Ausland zahlbaren Beitragszeiten zurückgelegt und sei zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Zusatzabkommen zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen in Verbindung mit § 17 a Fremdrentengesetz (FRG) nicht berechtigt. Er habe zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme auf sein Herkunftsgebiet am 2. Januar 1939 nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört. Sowohl die vorliegenden Schriftproben als auch die mündliche Ausdrucksweise sowie das Ergebnis der Leseprüfung wiesen darauf hin, dass zwar eine Verbundenheit zur deutschen Sprache zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme vorgelegen habe, jedoch keine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 1998 zurück.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Berlin erhoben.

Das Sozialgericht hat im Wege der Rechtshilfe die Zeugen J S, J L und S F vernehmen lassen. Wegen der Vernehmung des Zeugen S F durch das Sozialgericht Kassel am 4. Dezember 1998 wird auf Blatt 39 bis 41 der Gerichtsakten, wegen der Vernehmung des Zeugen J L auf die Vernehmungsniederschrift des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in New York vom 23. Juni 1999 (Blatt 50 bis 52 der Gerichtsakten) und wegen der Vernehmung des Zeugen J S sowie der Anhörung des Klägers vor dem Amtsgericht Tel Aviv am 3. Februar 1999 auf die beglaubigte Übersetzung der Sitzungsniederschrift auf Blatt 67 bis 70 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. April 2000 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Altersrente nach vorheriger Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen. Für ihn seien keine Beitragszeiten nach § 17 a FRG anzuerkennen, da er zum maßgeblichen Zeitpunkt (dem Beginn der nationalsozialistischen Einflussnahme auf sein Heimatgebiet im Monat Juli 1941) zwar bereits das 16. Lebensjahr vollendet gehabt, nicht aber dem dSK angehört habe. Er sei in einem mehrsprachig...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge