Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. effektiver Rechtsschutz. Unzulässigkeit einer gesonderten Klage der pharmazeutischen Unternehmerin gegen Aufforderung zur Dossiereinreichung. § 35a Abs 8 S 1 SGB 5. Klagebefugnis gegen Nutzenbewertungsbeschluss. hier: Dossierpflicht für Fertigarzneimittel mit fester Wirkstoffkombination Beclometason/Formoterol/Glycopyrronium in Indikation Asthma Bronchiale

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine gesonderte Klage gegen die Aufforderung zur Übermittlung der Unterlagen nach § 35a Abs 1 SGB V ("Dossier") ist nach § 35a Abs 8 S 1 SGB V schlechthin unzulässig.

2. Entgegen § 35a Abs 8 S 1 SGB V ist eine gesonderte Klage gegen den Nutzenbewertungsbeschluss des GBA zulässig, sofern der Erstattungsbetrag einvernehmlich und ohne Schiedsspruch vereinbart wurde (Anschluss an BSG vom 10.9.2020 - B 3 KR 11/19 R = SozR 4-2500 § 35a Nr 6).

3. Unterlagenschutz ist das entscheidende Kriterium für die Frage, ob ein Arzneimittel als "neuer Wirkstoff" bzw "neue Wirkstoffkombination" anzusehen ist.

 

Orientierungssatz

1. Zur Klagebefugnis einer pharmazeutischen Unternehmerin auf gerichtliche Feststellung, dass die um die frühe Nutzenbewertung ihres Fertigarzneimittels Trimbow® mit der festen Wirkstoffkombination Beclometason/Formoterol/Glycopyrronium ergänzte Anlage 12 der Arzneimittel-Richtlinie (juris: AMRL) unwirksam sei.

2. Das System von § 35a SGB 5, AM-NutzenV und 5. Kapitel der VerfO (juris: GBAVfO) - hier: betreffend die Dossierpflicht für Trimbow® in der Indikation Asthma Bronchiale - ist schlüssig und beachtet die Vorgaben des jeweils höherrangigen Rechts.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist pharmazeutische Unternehmerin. Sie wendet sich gegen den Beschluss des beklagten Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 5. August 2021 über eine „Änderung der Arzneimittel-Richtlinie Anlage XII - Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V: Beclometason / Formoterol / Glycopyrronium (erstmalige Dossierpflicht: Asthma)“.

Unter dem Handelsnamen Trimbow® vertreibt die Klägerin diese Wirkstoffkombination als Dosieraerosol seit dem 15. August 2017 auf dem deutschen Markt. Die feste Dreifach-Kombination besteht aus dem inhalativen Glucocorticoid (ICS) Beclometason, dem langwirksamen beta-2-Agonisten (LABA) Formoterol sowie dem langwirksamen Muscarin-Antagonisten (LAMA) Glycopyrronium.

Der Anwendungsbereich von Beclometason als Monosubstanz erstreckt sich vor allem auf die Behandlung von allergischen und nicht-allergischen Lungenerkrankungen wie Asthma oder chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD).

Der Wirkstoff Formoterol wird in der Inhalationstherapie von Atemwegserkrankungen wie Asthma Bronchiale, chronischer Bronchitis und COPD eingesetzt.

Glycopyrronium ist als Monosubstanz zugelassen zur Therapie der COPD, nicht aber des Asthma Bronchiale.

Arzneimittelrechtlich zugelassen mit der Folge von Unterlagenschutz war Trimbow® seit dem 17. Juli 2017, zunächst nur für die Behandlung der COPD bei Erwachsenen, pro Druck 87 µg Beclometason, 5 µg Formoterol und 9 µg Glycopyrronium.

In der Indikation COPD unterlag Trimbow® nach Auffassung auch des Beklagten nicht der Nutzenbewertung und der daraus resultierenden Dossierpflicht nach § 35a SGB V, „da die Wirkstoffkombination keinen neuen Wirkstoff enthält und das Anwendungsgebiet der Fixkombination in den zugelassenen Anwendungsgebieten der Einzelsubstanzen enthalten ist“ (Schreiben des Beklagten vom 30. September 2015).

In der Folgezeit strebte die Klägerin eine Zulassungserweiterung für die Indikation Asthma Bronchiale bei Erwachsenen an. Im Zuge einer erneuten Anfrage zur Prüfung der Dossierpflicht für Trimbow®, nunmehr in Bezug auf die Indikation Asthma Bronchiale, teilte der Beklagte der Klägerin durch Schreiben vom 31. Juli 2018 mit, dass sich auf der Grundlage der bestehenden Regelungen in § 35a SGB V und im 5. Kapitel der VerfO aus einer etwaigen Erweiterung des Anwendungsgebiets von Trimbow® kein neuer Sachverhalt bzw. keine automatische Verpflichtung zur Dossiereinreichung ergebe. Es werde aber darauf hingewiesen, dass mit einer Änderung von § 35a SGB V oder des 5. Kapitels der VerfO gegebenenfalls eine Neubewertung vorzunehmen sei.

Zu einer Änderung des 5. Kapitels der VerfO kam es durch Beschluss des Beklagten vom 20. Februar 2020 (in Kraft getreten am 8. August 2020). Eingeführt wurde § 1 Abs. 2 Nr. 4a, der lautet:

„Die Nutzenbewertung nach § 35a Absatz 1 SGB V wird durchgeführt für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und neuen Wirkstoffkombinationen, (…) die ab dem 1. Januar 2011 erstmals in den Verkehr gebracht werden und bei denen nach diesem Zeitpunkt die Zulassung eines neuen Anwendungsgebietes nach § 2 Absatz 2 erstmals nach § 2 Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 Spiegelstrich 2 ein...

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