Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrtkostenerstattung
Leitsatz (amtlich)
Ein Fahrtkostenerstattungsanspruch nach § 60 SGB V bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder des eigenen PKW kann sich auch aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a SGB V ergeben.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 25. Februar 2021 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 38,80 € zu erstatten. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 1/20 der ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht noch ein Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten zu ambulanten ärztlichen Behandlungen in Höhe von 1.047,60 €.
Die 1960 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie wurde 1995 aufgrund eines Gehirntumors linksseitig operiert und erlitt im Juli 2015 eine Hirnblutung. Sie leidet ferner unter anderem an einem Tumorrezidiv und einer größenkonstanten Kaverna links sowie insbesondere an einer Merk- und Gedächtnisstörung. Ihr ist mit Wirkung vom 27. Januar 2016 ein Gesamt-Grad der Behinderung von 30 zuerkannt, mit Wirkung ab 21. September 2017 ein Gesamt-Grad von 50 ohne besondere Merkzeichen.
In der Zeit vom 17. März 2016 bis zum 14. Dezember 2017 ließ sich die Klägerin in vierzehntägigem Abstand von ihrem Lebensgefährten von ihrem Wohnort mit dem Pkw auf eigene Kosten in die Praxis des Facharztes für Neurologie Dr. W in P zu einem ambulanten neuropsychologischen Hirnleistungstraining fahren. Die Entfernung vom Wohnort zur Praxis beträgt 97 km.
Mit Schreiben vom 21. März 2016 teilte sie der Beklagten mit, ab 17. März 2016 vierzehntägig in neuropsychologischer Therapie in Potsdam zu sein. Die Fahrt betrage hin und zurück 200 km. Sie bitte um Fahrkostenrückerstattung und einen Fahrkostenrückerstattungsschein für die nächsten Therapien. Beigefügt war ein Attest des Dr. W, wonach die Klägerin am 17. März 2016 zur neuropsychologischen Diagnostik in seiner Praxis gewesen sei. Eine ärztliche Verordnung einer Krankenbeförderung („Muster 4“) lag dem Schreiben nicht bei. Die Klägerin erinnerte mit Schreiben vom 5. April 2016, eingegangen bei der Beklagten am 11. April 2016, an ihren Antrag. Darin führte sie u. a. aus, sie könne nicht alleine zu der Therapie fahren und bittet um Kostenerstattung, damit die Therapie weiter durchgeführt werden könne.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 29. April 2016 den Antrag auf Fahrtkostenübernahme ab, nachdem sie bereits zuvor unter dem 13. Juni 2016 einen Antrag auf Kostenübernahme für eine telemedizinische Behandlung zurückgewiesen hatte. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen hierfür einer hohen Belastungsfrequenz über einen längeren Zeitraum und einer Beeinträchtigung durch die Behandlung oder den Krankheitsverlauf in einer Weise, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden auf Leib und Leben unerlässlich sei, lägen nicht vor. Die Klägerin könne auch keinen Schwerbehindertenausweis vorlegen mit einem der Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert), Bl (blind), H (hilflos) und sei keine Versicherte, die Pflegeleistungen nach Pflegestufe 2 oder 3 des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch beziehe oder zwar keines der genannten Merkzeichen bzw. einen Pflege-Einstufungsbescheid vorweisen könne, jedoch von einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Mobilität betroffen sei und einer ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum bedürfe.
Diese Entscheidung griff die Klägerin nicht an.
Mit am 30. Mai 2017 eingegangenen Schreiben vom 29. Mai 2017 stellte sie aber erneut einen Antrag auf Fahrtkostenerstattung. Sie sei im Mai 2017 beim MRT und zu dessen Auswertung im C Klinikum in C gewesen. Aufgrund der attestierten Befunde sei sie nicht in der Lage, selbst zur erforderlichen Therapie in Potsdam zu fahren. Die Termine für die Therapie ab 2016 seien der Beklagten zugeschickt worden. Beigefügt war ein Attest des Dr. S des Klinikums, wonach die Klägerin weiterhin an einer Merk- und Gedächtnisstörung leide und die Fortführung des vierzehntägigen Hirnleistungstrainings in P aus neurochirurgischer Sicht sinnvoll und notwendig sei.
Mit Telefonaten vom 8. Juni 2017 forderte die Beklagte von Dr. S eine entsprechende Verordnung an und teilte der Klägerin mit, nach deren Eingang den Medizinischen Dienst Berlin-Brandenburg (MDK) einzuschalten.
Eine ärztliche Verordnung einer Krankenbeförderung, ausgestellt von Dr. S, ging daraufhin an diesem Tag bei der Beklagten ein und wurde von dieser mit Schreiben vom 14. Juni 2017 dem MDK vorgelegt. Dieser gelangte in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme durch Dipl.-Med. Z vom 15. Juni 2017 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 der Krankentransportlinien nicht gegeben seien. Zwar bestünde eine relativ hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum. Jedoch beeinträchtige der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf oder die Behandlung...