Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen H. Hilflosigkeit. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Beurteilung bei Kindern und Jugendlichen. Adrenogenitales Syndrom. Salzverlust. grundsätzlich keine entsprechende Anwendung der Regelungen zu Diabetes mellitus. Vergleichbarkeit der Erkrankungen im Einzelfall. GdB-Feststellung. analoge Heranziehung der Bewertungsgrundsätze zum Therapieaufwand
Orientierungssatz
1. Bei einem Adrenogenitalen Syndrom (AGS) mit Salzverlust kann bei Kindern und Jugendlichen das Merkzeichen H (Hilflosigkeit) nicht unter Rückgriff auf die für Diabetes mellitus geltende Regelung in Teil A Nr 5 Buchst d DBuchst jj VMG (Anlage zu § 2 VersMedV) zuerkannt werden (so auch LSG Mainz vom 9.11.2016 - L 6 SB 94/16; anders allerdings LSG Celle-Bremen vom 25.5.2016 - L 13 SB 87/15).
2. Eine analoge Anwendung dieser Regelung ist ohnehin ausgeschlossen, wenn im Einzelfall auch eine Vergleichbarkeit der Erkrankung mit der in Teil A Nr 5 Buchst d DBuchst jj VMG genannten Diabetes-mellitus-Erkrankung nicht gegeben ist (hier ua im Hinblick auf die Zeit bis zum Eintreten der Gesundheitsverschlechterung nach einer Notfallsituation).
3. Die Frage, ob die Zuerkennung des Merkzeichens H (Hilflosigkeit) stets auch die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft voraussetzt, wird offengelassen.
4. Im Rahmen der Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) sind allerdings die Bewertungsmaßstäbe der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) für Diabetes mellitus in Teil B Nr 15.1 insoweit analog auf das Adrenogenitale Syndrom (AGS) mit Salzverlust anwendbar, soweit es nicht auf die Vergleichbarkeit der Erkrankungen, sondern auf den dadurch ausgelösten Therapieaufwand ankommt.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2018 aufgehoben und die Klage im vollen Umfang abgewiesen.
II. Kosten haben die Beteiligten einander für das Klage- und Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2016 bleibt davon unberührt.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen die erstinstanzliche Verurteilung, bei dem Kläger ab dem 17. Juli 2015 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens H (Hilflosigkeit) festzustellen.
Der 2008 geborene Kläger leidet unter einem - laborchemisch und molekulargenetisch gesicherten - angeborenen adrenogenitalen Syndrom (AGS) mit 21-Hydroxylase-Defekt und Salzverlust. Er befand sich deshalb seit seiner Geburt in Abständen von ca. sechs Wochen in ständiger Behandlung in der endokrinologischen Ambulanz der Kinder- und Jugendklinik des Universitätsklinikums E und nach seinem Umzug nach B seit April 2010 in vierteljährlichen Abständen im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) der C/Campus V-Klinikum. Aus Stellungnahmen des Dr. Sch vom 10. Februar 2016 und vom 28. September 2017 ergibt sich, dass das Krankheitsbild beim Kläger medikamentös gut substituiert ist, insbesondere traten keine Wachstumsstörungen bzw. Kleinwuchs auf und die Laborwerte bewegten sich im therapeutischen Zielbereich. Seit August 2013 besuchte der Kläger die Grundschule.
Am 17. Juli 2015 stellte die Mutter für den Kläger einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H. Zur Begründung machte der Kläger geltend, es sei eine ständige Überwachung der Medikation und Anpassung der Dosis auf bestimmte Lebenslagen erforderlich, um eine lebensbedrohliche Entgleisung des Hormonhaushaltes zu verhindern. Ergänzend überreichte der Kläger Unterlagen der ihn behandelnden Ärzte. Hinsichtlich des Inhalts dieser Unterlagen wird auf Blatt 5 bis 85 der Verwaltungsakte verwiesen.
Der Beklagte holte einen aktuellen Befundbericht des SPZ der C B ein. Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme der Ärztin für Kinderheilkunde Dr. P erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Oktober 2015 einen GdB von 20 wegen einer chronischen Nebennierenrindenunterfunktion an. Die Gewährung von Merkzeichen lehnte er dagegen ab.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren, in dem der Kläger einen Gesamt-GdB von 70 sowie die Zuerkennung der Merkzeichen B, G und H beantragte, verwies er zunächst auf einen Bescheid des Bezirksamtes P vom 29. Oktober 2013, mit dem festgestellt worden war, dass er zum Personenkreis des § 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) gehöre. Gleichzeitig wurden ihm Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gewährt. Des Weiteren sei ihm mit Bescheid der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft vom 7. Januar 2014 ein sonderpädagogischer Förderbedarf (körperliche und motorische Entwicklung) bewilligt worden. Er führte weiter aus, er werde mit Integrationsstatus beschult und müsse sich aufgrund der erhöhten Verletzungsgefahr im Schulbereich entsp...