Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen in der ehemaligen DDR erlittener Haft
Orientierungssatz
1. Ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Häftlingshilfegesetz Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.
2. Gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 HHG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
3. Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach lang dauernden psychischen Belastungen als auch nach relativ kurz dauernden Belastungen in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren.
4. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigung für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen.
5. Liegen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, so ist dem Betroffenen eine Versorgungs- bzw. Beschädigten-Grundrente nach einer MdE bzw. einem GdS von 30 zu gewähren.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist eine Rente infolge erlittener Haft in der ehemaligen DDR nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) - vormals Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) - von 30 (v. H.).
Der 1961 geborene Kläger wurde am 11. Januar 1982 in der ehemaligen DDR in Haft genommen. Durch Urteil des Stadtgerichts B vom 24. Mai 1982 (Az. ) wurde er wegen landesverräterischer Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Er war zwischen dem 11. Januar und dem 14. Oktober 1982 inhaftiert, und zwar im Wesentlichen in Untersuchungshaft in H und anschließend in Strafhaft in C. Mit Beschluss des Stadtgerichts B vom 8. Oktober 1982 wurde die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungszeit betrug zwei Jahre bei Beginn der Bewährungszeit am 15. Oktober 1982. Am 14. Oktober 1982 wurde der Kläger aus der Haft und in die Bundesrepublik Deutschland entlassen.
Am 20. Oktober 1982 beantragte der Kläger eine Beschädigtenversorgung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse, die den Antrag zuständigkeitshalber dem Beklagten zuleitete. Der Beklagte stellte unter dem 1. Dezember 1982 eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG für einen politischen Gewahrsam des Klägers vom 11. Januar bis zum 14. Oktober 1982 aus. Wegen des Antrags auf Beschädigtenversorgung ermittelte der Beklagte medizinisch und holte unter anderem ein fachorthopädisches Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. T und ein versorgungsärztlich-internistisches Gutachten des Versorgungsarztes Dr. S ein. Den Gutachtern folgend lehnte der Beklagte den Versorgungsantrag des Klägers nach dem HHG mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. Mai 1983 ab, weil kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem politischen Gewahrsam bestünde.
Mit Beschluss vom 30. September 1991 hob das Landgericht B das genannte Urteil des Stadtgerichts B vom 24. Mai 1982 auf, rehabilitierte den Kläger und stellte fest, dass dem Kläger ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für die Nachteile zustehe, die ihm durch den in der Zeit vom 11. Januar 1982 bis zum 14. Oktober 1982 erlittenen Freiheitsentzug entstanden sind (Geschäftsnummer ).
Am 15. Februar 2002 beantragte der Kläger mit einem Antragsformular abermals eine Beschädigtenversorgung bei dem Beklagten wegen seiner Haftzeit, nachdem er sich bereits mit Schreiben vom 7. Januar 2002 mit der Bitte an den Beklagten gewandt hatte, ihm einen Antrag auf Versorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetz (StrRehaG) zu übersenden. Der Beklagte holte unter anderem einen ärztlichen Befundbericht bei dem Arzt H vom 1. April 2002 ein und zog über das Bundesarchiv in Kopie Auszüge aus der Vollzugsakte bei. Anschließend holte er eine versorgungsärztlich-chirurgische Stellungnahme des Arztes für Chirurgie Dr. B vom 12. Juni 2002 und eine versorgungsärztlich-internistische Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin Dr. D vom 17. Juli 2002 ein, die eine Versorgung bezogen je auf ihr Fachgebiet ablehnten.
Aufgrund eines zwischenzeitlichen Umzugs des Klägers nach F leitete der Beklagte den Antrag zuständigkeitshalber an das Land B weiter. Diesem ging eine Mitteilun...