Entscheidungsstichwort (Thema)
Festlegung eines früheren Rentenbeginns im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Orientierungssatz
1. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt u. a. die Verletzung einer Rechtspflicht und deren Kausalität für den eingetretenen Schaden voraus.
2. Macht der Versicherte geltend, er sei durch die Verletzung der Hinweispflicht durch den Rentenversicherungsträger daran gehindert worden, die Gewährung der Regelaltersrente rechtzeitig zu beantragen, so trägt er die negative Feststellungslast dafür, dass er, wenn er ein Hinweisschreiben nach § 115 Abs. 6 SGB 6 erhalten hätte, rechtzeitig den Antrag auf Gewährung der Regelaltersrente gestellt hätte. Sprechen die verfügbaren Umstände dafür, dass er auch nach Erhalt eines Hinweises durch den Rentenversicherungsträger auf die Möglichkeit der Rentenbeantragung über einen längeren Zeitraum gewartet hätte, bis er den Rentenantrag tatsächlich stellt, so ist die Bewilligung der Regelaltersrente zu einem früheren Zeitpunkt im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ausgeschlossen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der Beginn und damit auch die Höhe des Zugangsfaktors der der Klägerin von der Beklagten bewilligten Regelaltersrente streitig.
Die 1941 geborene Klägerin war zuletzt im Jahre 1976 unter einer Anschrift in M für die Beklagte postalisch erreichbar. Ein im September 1987 an die Klägerin abgesandtes Schreiben der Beklagten kam jedoch mit dem Vermerk “unbekannt verzogen„ zurück. Auf ein Auskunftsersuchen beim Einwohnermeldeamt M teilte dieses der Beklagten eine Abmeldung der Klägerin nach “R„ in Saudi-Arabien mit.
Die Klägerin beantragte am 15. Mai 2008 durch ihre Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente ab dem 1. Juni 2006. Im Rentenantragsformular “R100 PDF V016 - 06.09.2007„ war keine Anschrift der Klägerin und als Tag der Antragstellung der 30. April 2007 angegeben. Die auf den 9. Mai 2008 datierte Unterschrift der Klägerin findet sich auf einem weiteren “R100 PDF V015 - 11.04.2007„. In einer dem Rentenantrag beigefügten Kopie des Passes der Klägerin war als Wohnanschrift “C/Portugal„ vermerkt. Weiterhin war dem Rentenantrag ein Formular “R990 PDF V006 - 31.01.2008„ mit einem Stempel der Prozessbevollmächtigten der Klägerin beigefügt. Mit Schreiben vom 1. Juli 2008 bat die Beklagte die Prozessbevollmächtigten der Klägerin um einen Nachweis der aktuellen Anschrift der Klägerin. Dem kamen die Prozessbevollmächtigten am 4. September 2008 nach. Zuvor war in den Stammdaten der Klägerin die Anschrift der Beklagten als Anschrift mit dem Zusatz “Anschriftenstatus unzutreffend, unbekannt ins Ausland verzogen„ vermerkt. Aus den Verwaltungsdaten des Versicherungskontos der Klägerin bei der Beklagten ist darüber hinaus ersichtlich, dass - neben dem unzustellbaren Schreiben vom September 1987 - im Januar 1999 ein Versicherungsverlauf mit einem Aufklärungsersuchen sowie im April 1999 eine diesbezügliche Erinnerung und am 3. Mai 2006 ein Anschreiben nach § 115 Absatz 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) an die Klägerin abgesandt worden sind. Weiter ergibt sich aus diesen Daten eine Anschriftenberichtigung der Klägerin am 11. Mai 2006 in die Adresse der Beklagten sowie zuvor als Anschrift “C/Portugal„ mit dem Zusatz “Anschriftenstatus unzutreffend„. Bis November 1980 wies das Versicherungskonto der Klägerin 248 Monate mit Beitrags-, Kindererziehungs- und Ersatzzeiten auf.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 10. November 2008 ab dem 1. Mai 2008 eine Regelaltersrente, der sie einen Zugangsfaktor von 1,115 zugrunde legte, weil die Klägerin die Rente wegen Alters trotz erfüllter Wartezeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze 23 Monate nicht in Anspruch genommen habe. Die Rente werde ab Beginn des Antragsmonats geleistet, weil der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Gegen den Rentenbescheid legte die Klägerin am 27. November 2008 Widerspruch ein mit dem Ziel der Gewährung einer Regelaltersrente im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ab dem 1. Juni 2006 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Zur Begründung verwies die Klägerin darauf, dass die Beklagte die Hinweispflicht des § 115 Absatz 6 Satz 1 SGB VI verletzt habe, so dass sie so zu stellen sei, wie sie stünde, wenn sie die Regelaltersrente rechtzeitig beantragt hätte.
Die Klägerin hat am 19. März 2009 Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2009, mit dem die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurückwies, angesichts der unvollständigen bzw. unbekannten Adresse der Klägerin im Zeitpunkt der Vo...