Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Rentenversicherung. Anwendbarkeit des RV/UVAbk POL. gewöhnlicher Aufenthalt. Aufenthaltsstatus. Rente wegen Erwerbsminderung

 

Orientierungssatz

1. Bei der Prüfung der Anwendbarkeit des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (juris: RV/UVAbk POL) ist ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland dann anzunehmen, wenn der Versicherte die Gewissheit haben durfte, im Inland bleiben zu dürfen und nicht abgeschoben zu werden. Diese Gewissheit lag nicht vor, wenn er zu den entscheidenden Zeitpunkten über keinerlei aufenthaltsrechtlichen Status verfügte. Allein der Umstand, dass der Aufenthalt nicht durch eine formale Entscheidung der Ausländerbehörde legalisiert war, führt zu einem derart unsicheren Aufenthalt, dass dieser nicht als zukunftsoffen angesehen werden kann.

2. Hierbei ist es unerheblich, ob ein Aufenthaltstitel, bei entsprechender Antragsstellung, erteilt worden wäre und ob der Versicherte angesichts der Weisungslage der Innenverwaltung dann damit hätte rechnen können, in Deutschland verbleiben zu dürfen.

 

Normenkette

SGB I § 30 Abs. 3 S. 2

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 21.10.2020; Aktenzeichen B 13 R 7/19 B)

BSG (Urteil vom 16.06.2015; Aktenzeichen B 13 R 36/13 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die von der Klägerin in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten nach den Regelungen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (Abk. Polen RV/UV 1975) bei der Berechnung der Rente der Klägerin zu berücksichtigen sind.

Die 1959 in W geborene Klägerin ist polnische Staatsangehörige. Sie verbrachte einen Teil ihres Erwerbslebens in Polen und legte dort Versicherungszeiten zurück. Später siedelte sie nach B. (West) über. Die Klägerin war von Dezember 1988 bis Februar 1989 in B.-N. polizeilich gemeldet, anschließend wieder in Polen und sodann ab dem 15. September 1990 in B.-K.. Sie beantragte im April 1994 erstmalig die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, die ihr zunächst befristet und im Jahre 1999 unbefristet erteilt wurde. Zwischenzeitlich hatte die Klägerin nach Scheidung von ihrem ersten Ehemann am 29. Mai 1991 am 24. Juli 1992 den in B. lebenden österreichischen Staatsangehörigen H S geheiratet.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 7. August 2007 für die Zeit vom 1. Juni 2005 bis zum 31. Januar 2008 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Berechnung legte die Beklagte die in Bezug auf Polen seit dem 1. Mai 2004 geltenden Vorschriften der Verordnung (EG) 1408/71 zugrunde. Dagegen legte die Klägerin am 5. September 2007 mit dem Ziel der Gewährung einer höheren Rente Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2008 als unbegründet zurückwies. Mit Bescheid vom 14. Februar 2008 gewährte die Beklagte der Klägerin die Erwerbsminderungsrente zunächst bis zum 31. Januar 2011 befristet weiter. Mit Bescheid vom 13. Januar 2011 wurde die Rente als Dauerrente weiter gewährt.

Die Klägerin hat am 16. April 2008 Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2008 vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie geltend macht, die Rente sei nach den Bestimmungen des Abk. Polen RV/UV 1975 zu berechnen. Dieses Abkommen sei auf sie anwendbar, weil sie unter der Geltung dieses Abkommens am 15. September 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet und seitdem nicht wieder aufgegeben habe. Sie habe bereits mit ihrem späteren Ehemann zusammen in einer Wohnung gelebt und bereits bei Zuzug die Absicht gehabt, in Deutschland zu bleiben. Sie sei damals ohne Visum oder eine andere ausländerrechtliche Genehmigung eingereist. Ihr späterer Ehemann sei bei der Ausländerbehörde vorstellig geworden und habe sich erkundigt, unter welchen Voraussetzungen sie einreisen dürfe. Er habe sein Einkommen gegenüber der Ausländerbehörde nachweisen müssen. Anschließend habe man ihm lediglich mündlich mitgeteilt, es sei alles in Ordnung. Die Ausländerbehörde habe zu keinem Zeitpunkt ihr gegenüber Absichten geäußert, sie abzuschieben, so dass ausländerrechtliche Gründe dem Bleibewillen nicht entgegengestanden hätten. Sie sei zwar im März 1991 zu einer notwendigen Krankenbehandlung nach Polen gefahren, dies sei aber nur vorübergehend gewesen. In diesem Rahmen sei ein formal noch bestehendes Beschäftigungsverhältnis aufgelöst worden.

Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die Klägerin weder bis Dezember 1990 noch bis Juni 1991 in Deutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätte. So habe die Klägerin in mehreren Fragebögen als Tag des Zuzu...

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