Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b S 4 SGB 6. Syndikusanwalt. Auslegung des Tatbestandsmerkmals "einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt". Zahlung von Mindestbeiträgen für eine neben einer abhängigen Beschäftigung als Syndikusrechtsanwalt ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Bei den zu einem Versorgungswerk geleisteten Mindestbeiträgen handelt es sich nicht um "einkommensbezogene Pflichtbeiträge" iS des § 231 Abs 4b S 4 SGB 6 (entgegen BVerfG vom 19.7.2016 - 1 BvR 2584/14 = juris RdNr 16 sowie vom 22.7.2016 - 1 BvR 2534/14 = juris RdNr 16 und LSG Berlin-Potsdam vom 10.4.2019 - L 16 R 255/18 = juris RdNr 20 sowie SG München vom 15.3.2018 - S 31 R 1340/17 = juris RdNr 22).
2. Die erweiterte Befreiungsmöglichkeit soll nur diejenigen Rechtsanwälte erfassen, die keinerlei Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung und ausschließlich einkommensbezogene Beiträge an das Versorgungswerk abgeführt haben.
3. Der Begriff der Einkommensabhängigkeit iS des § 231 Abs 4b S 4 SGB 6 steht im Zusammenhang mit dem aus der wirtschaftlichen Betätigung folgenden Einkommen, welches der Bemessung der Beiträge zugrunde liegt. Es kann also für die Leistung der "einkommensabhängigen Pflichtbeiträge" nicht auf irgendwelche Beschäftigungen, insbesondere nicht auf eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt ankommen, sondern nur auf die Einkommensabhängigkeit im antragsgegenständlichen Syndikusbeschäftigungsverhältnis (vgl LSG München vom 7.2.2019 - L 14 R 264/18 = juris RdNr 39).
4. Die Stichtagsregelung in § 231 Abs 4b S 3 SGB 6 verstößt nicht gegen Grundrechte.
Tenor
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren
nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht rückwirkend für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 zu befreien ist.
Der im Jahr 1974 geborene Kläger wurde am 09. September 2004 von der Rechtsanwaltskammer D als Rechtsanwalt zugelassen und war seit dem 09. September 2004 kraft Gesetzes Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande N-W (im Folgenden: Versorgungswerk NRW). Ab dem 18. Oktober 2004 war er als angestellter Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei in Berlin beschäftigt. Nach seinem Umzug nach Berlin wurde der Kläger ab dem 13. Dezember 2004 Mitglied der Rechtsanwaltskammer B. Auf seinen Antrag führte sodann das Versorgungswerk NRW seine Mitgliedschaft ab dem 14. Dezember 2004 (als freiwillige Mitgliedschaft) fort. Mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, vom 23. Dezember 2004 wurde der Kläger - auf seinen Antrag - ab dem 09. September 2004 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.
Ab dem 01. Januar 2013 war der Kläger als Referent beim Gesamtverband der D V e.V. (GDV) mit Sitz in B tätig. Der Arbeitgeber des Klägers führte im streitbefangenen Zeitraum Rentenversicherungsbeiträge an die Beklagte ab. Der Kläger zahlte den Mindestbeitrag an das Versorgungswerk NRW.
Im März 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit beim GDV. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 17. April 2015 ab und verwies zur Begründung auf die am 03. April 2014 ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Aktenzeichen B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R, nach denen eine selbstständige anwaltliche Berufsausübung in der äußeren Form einer Beschäftigung nicht möglich sei und damit im Fall des Klägers die Voraussetzungen für eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht vorlägen.
Mit seiner hiergegen am 19. Juni 2015 zum Sozialgericht B (SG) (Az.: S 69 R 3117/15) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte ist dieses Klageverfahren durch Beschluss des SG vom 14. August 2015 ruhend gestellt worden.
Nachdem die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zum 01. Januar 2016 durch das „Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung“ vom 21. Dezember 2015 (BGBl I S. 2517) u. a. dahingehend geändert worden war, dass nunmehr die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ermöglicht wurde (§ 46a BRAO), beantragte der Kläger am 23. März 2016 bei der Rechtsanwaltskammer B die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die seit dem 01. Januar 2013 beim GDV ausgeübte Referententätigkeit und am 23. März 2016 bei der Beklagten die (auch) rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicher...