Entscheidungsstichwort (Thema)
Lärmschwerhörigkeit. grenzwertige Lärmbelastung. Nachschaden. Berufsbedingtheit der Verschlimmerung einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit. Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit. BK 2301
Leitsatz (redaktionell)
Die Verschlechterung einer berufsbedingten, aber nicht rentenberechtigenden Lärmschwerhörigkeit kann nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden, wenn die Verschlechterung erst nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit eingetreten ist.
Orientierungssatz
1. Die Feststellung der Berufskrankheit der Lärmschwerhörigkeit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in Form einer adäquaten Lärmexposition gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit, d.h. eine Innenohrschwerhörigkeit bzw. ein Tinnitus, vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität).
2. Eine berufsbedingte Schwerhörigkeit liegt nur vor, wenn ein gleich bleibender Hörverlust nach Ende der Lärmexposition ohne Verbesserung oder Verschlechterung besteht. Die Hörstörung muss sich während der Lärmexposition entwickelt haben, während nach Aufgabe der gehörschädigenden Tätigkeit sich einstellende Hörverschlechterungen unbeachtliche Nachschäden sind. Ist die Lärmexposition beendet, darf die Schwerhörigkeit deshalb nur altersentsprechend fortschreiten.
Normenkette
SGB VII § 9 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 1 S. 1; BKV Anl. Nr. 2301
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Verletztenteilrente wegen einer Berufskrankheit Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1944 geborene Kläger war nach einer Ausbildung zum Bautischler von Juli 1961 bis Juni 1998 als Bautischler, Tischler, Service- bzw. Kundendiensttischler und nach zwischenzeitlicher kurzer Arbeitslosigkeit seit November 1998 als Kundendienst-Tischler bei der Firma G Tischlerei GmbH tätig. Eine Expositionsanalyse der Abteilung Prävention der Beklagten vom 10. April 2003 ergab, dass der Kläger bis Januar 1976 einem Schalldruckpegel von mehr als 85 dB (A) ausgesetzt war; während der von Februar 1976 bis Juni 1990 ausgeübten Tätigkeit habe eine Belastung von 81 dB (A) bestanden; für die Zeit von Juli 1990 bis Juni 1998 sei mit 85 dB (A) von einer Lärmbelastung im grenzwertigen Bereich auszugehen; in der Folgezeit und zur Zeit der Beurteilung sei der zeitliche Umfang lärmbelastender Tätigkeit eher gering und mit kleiner als 85 dB (A) anzunehmen.
Aufgrund einer ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit der BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH vom 21. November 2002 wegen einer Hörminderung im Hochtonbereich, der ein Audiogramm vom 13. November 2002 beigefügt war, holte die Beklagte einen Befundbericht der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Dr. Z ein, die Audiogramme vom 25. Juli 1995 und vom 21. September 1999 übersandte, sowie ein Gutachten des Facharztes für Hals-Nasen-Ohren (HNO)-Krankheiten - Audiologie Dr. B vom 08. April 2003, dem ein Audiogramm vom 25. März 2003 beigefügt war. Dieser führte aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Teil der vorliegenden Schwerhörigkeit und der berufsbedingten Lärmbelastung anzunehmen sei. Im Zeitpunkt der Aufzeichnung des Audiogramms vom 23. Oktober 1997 habe der Kläger eine wesentlich geringere Schwerhörigkeit gehabt, die einem prozentualen Hörverlust von 10 % entsprochen habe. Jetzt finde man eine Hörminderung, die einem prozentualen Hörverlust von 45 % entspreche. Es sei nach dem Königsteiner Merkblatt davon auszugehen, dass bis zum Ende der Lärmbelastung der berufsbedingte Lärm wesentliche Ursache für die Schwerhörigkeit sei. Da in der Zeit von 1997 bis zum Zeitpunkt der Beurteilung die Lärmbelastung geringer gewesen sei, sei von einem vorhandenen Parallelschaden auszugehen. Der jetzt vorliegende Schaden werde nach dem Sprachaudiogramm mit einer MdE von 20 v. H. bewertet. Der berufsbedingte Schadensanteil auf der Grundlage des Audiogramms von 1997 werde auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v. H. eingeschätzt.
Nach Anhörung der Gewerbeärztin erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 08. Mai 2003 eine beruflich bedingte Innenohrschwerhörigkeit beidseits als teilweise berufsbedingt im Sinne der BK Nr. 2301 der Anlage zur BKV an; eine altersbedingte bzw. durchblutungsbedingte Minderung des Hörvermögens werde nicht als Folge der Berufskrankheit anerkannt. Eine MdE aufgrund des beruflich bedingten Anteils der Hörstörung liege nicht in rentenberechtigendem Grade vor. Hiergegen erhob der Kläger Wi...