Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeitsklage. Zulässigkeit

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.01.2023; Aktenzeichen B 4 AS 177/22 BH)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Kläger werden die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. Februar und 8. Februar 2021 aufgehoben.

Die Wiederaufnahmeklagen werden als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren die Wiederaufnahme von Verfahren, die bei dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) geführt worden sind (S 17 AS 2410/11, S 17 AS 2412/11 und S 17 AS 2413/11).

Die Kläger (bzw im Verfahren S 17 AS 2412/17 nur der Kläger) hatten sich in den genannten Verfahren gegen die endgültige Festsetzung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) durch den Beklagten gewandt. Das SG hat die Klagen nach mündlichen Verhandlungen - auf die entsprechenden Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen - als „unzulässig verworfen“ bzw als „unbegründet“ abgewiesen (Urteile vom 3. November 2017). Der erkennende Senat hat die hiergegen eingelegten Berufungen mit Beschlüssen vom 4. Juni 2018 (L 18 AS 2616/17 und L 18 AS 2615/17) und Urteil vom 23. Januar 2019 (L 18 AS 2617/17) unter Berichtigung jeweils des SG-Tenors zurückgewiesen. Anhörungsrügen, in denen die Kläger ua darauf hinwiesen, es sei zu untersuchen, ob das SG Frankfurt (Oder) seine Entscheidung „in der gesetzlichen Zusammensetzung“, insbesondere mit den richtigen ehrenamtlichen Richtern, getroffen habe, blieben erfolglos. Entsprechende Zweifel äußerten die Kläger bereits in einem Ablehnungsverfahren gegen den erstinstanzlichen Kammervorsitzenden (vgl Schreiben vom 12. März 2018). Akteneinsicht in die gerichtlichen Verfahrensakten nahm der Kläger am 29. September 2020.

Mit ihren am 22. Oktober 2020 erhobenen Wiederaufnahmeklagen machen die Kläger die Nichtigkeit der SG-Urteile vom 3. November 2017 geltend. Die Kammer des SG sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Die Beteiligten seien zur Ladung einer ehrenamtlichen Richterin belogen worden. Die Entscheidungen basierten auf Rechtsbeugung. Die Ladung der zunächst zur Verhandlung berufenen ehrenamtlichen Richterin befinde sich nicht in den Akten. Ein Ordnungsgeldverfahren habe offenbar nicht stattgefunden. Die erste Verhandlung habe zudem mit Verspätung begonnen. Die ursprünglich geladene ehrenamtliche Richterin hätte dann zur zweiten Verhandlung erscheinen können. Offenbar sei die ehrenamtliche Richterin jedoch vereinbarungsgemäß nicht zum Termin erschienen und der Beginn des Verhandlungstermins sei vorsätzlich verzögert worden. Die Erklärung hierfür liege wohl in einer verdeckten Observation der Kläger, an der der Beklagte und das Gericht beteiligt seien.

Das SG hat die Nichtigkeitsklagen mit Gerichtsbescheiden vom 5. Februar 2021 (S 17 AS 971/20 WA und S 17 AS 972/20 WA) bzw 8. Februar 2021 (S 17 AS 970/20 WA) abgewiesen bzw „verworfen“. Diese seien bereits unzulässig.

Mit den Berufungen, die der Senat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen L 18 AS 293/21 verbunden hat (Beschluss vom 27. April 2022), verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Sie beantragen nach ihrem Vorbringen,

die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. Februar 2021 und 8. Februar 2021 aufzuheben und die Ausgangsverfahren wieder aufzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufungen sind begründet, soweit die Kläger die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen des SG begehren. Denn dieses war für die Entscheidung über die Wiederaufnahme schon nicht zuständig. Zuständig für eine Wiederaufnahmeklage ist dasjenige Gericht, das zuletzt in der Sache entschieden hat (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ 13. Aufl 2020, Rn 8 zu § 179 mwN). Das war hier das Landessozialgericht, das mit - die Berufungen zurückweisenden - Beschlüssen vom 4. Juni 2018 und Urteil vom 23. Januar 2019 sachlich entschieden hat.

Die Wiederaufnahmeklagen sind unzulässig. Für die Klägerin folgt dies in Bezug auf das Verfahren S 17 AS 970/20 WA bereits daraus, dass sie nicht Beteiligte des dortigen Ausgangsverfahrens war. Die Wiederaufnahmeklagen sind aber auch im Übrigen unzulässig.

Nach § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren unter entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) wiederaufgenommen werden. Nach § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme durch Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) oder durch Restitutionsklage (§ 580 ZPO) erfolgen. Die Wiederaufnahmegründe sind im Gesetz abschließend aufgezählt. Eine Wiederaufnahmeklage zieht unter Umständen ein dreistufiges Verfahren nach sich. Zunächst haben die Gerichte zu prüfen, ob die Wiederaufnahmeklage zulässig ist. Bejahendenfalls schließt sich die Prüfung ihrer Begründetheit an, wobei es darum geht, ob tatsächlich ein Wiederaufnahmegrund vorliegt; ist das der Fall, hat das Gericht das rechtskrä...

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