Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeitsklage. Zulässigkeit

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.01.2023; Aktenzeichen B 4 AS 177/22 BH)

 

Tenor

Die Berufungen der Kläger gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Februar und 10. Februar 2021 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren die Wiederaufnahme von Verfahren, die bei dem Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) geführt worden sind (S 17 AS 2400/11, S 17 AS 629/13).

Die Kläger hatten sich in den genannten Verfahren gegen die endgültige Festsetzung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) durch den Beklagten gewandt. Das SG hat die Klagen nach mündlichen Verhandlungen - auf die entsprechenden Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen - als „unzulässig verworfen“ (Urteile vom 3. November 2017). Der erkennende Senat hat die hiergegen eingelegten Berufungen mit Beschlüssen vom 22. Januar 2019 und 24. Januar 2019 (L 18 AS 2614/17 und L 18 AS 2613/17) als unzulässig verworfen. Anhörungsrügen, in denen die Kläger ua darauf hinwiesen, es sei zu untersuchen, ob das SG Frankfurt (Oder) seine Entscheidung „in der gesetzlichen Zusammensetzung“, insbesondere mit den richtigen ehrenamtlichen Richtern, getroffen habe, blieben erfolglos. Entsprechende Zweifel äußerten die Kläger bereits in einem Ablehnungsverfahren gegen den erstinstanzlichen Kammervorsitzenden (vgl Schreiben vom 12. März 2018). Akteneinsicht in die gerichtlichen Verfahrensakten nahm der Kläger am 29. September 2020 bzw 16. Oktober 2020.

Mit ihren am 22. Oktober 2020 erhobenen Wiederaufnahmeklagen machen die Kläger die Nichtigkeit der SG-Urteile vom 3. November 2017 geltend. Die Kammer des SG sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Die Beteiligten seien zur Ladung einer ehrenamtlichen Richterin belogen worden. Die Entscheidungen basierten auf Rechtsbeugung. Die Ladung der zunächst zur Verhandlung berufenen ehrenamtlichen Richterin befände sich nicht in den Akten. Ein Ordnungsgeldverfahren habe offenbar nicht stattgefunden. Die erste Verhandlung habe zudem mit Verspätung begonnen. Die ursprünglich geladene ehrenamtliche Richterin hätte dann zur zweiten Verhandlung erscheinen können. Offenbar sei die ehrenamtliche Richterin jedoch vereinbarungsgemäß nicht zum Termin erschienen und der Beginn des Verhandlungstermins sei vorsätzlich verzögert worden. Die Erklärung hierfür liege wohl in einer verdeckten Observation der Kläger, an der der Beklagte und das Gericht beteiligt seien.

Das SG hat die Nichtigkeitsklagen mit Gerichtsbescheiden vom 8. Februar 2021 (S 17 AS 969/20 WA) bzw 10. Februar 2021 (S 17 AS 973/20 WA) unter Zulassung der Berufung abgewiesen. Diese seien bereits unzulässig.

Mit den Berufungen, die der Senat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen L 18 AS 295/21 verbunden hat (Beschluss vom 27. April 2022), verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Sie beantragen nach ihrem Vorbringen,

die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Februar 2021 und 10. Februar 2021 aufzuheben und die Ausgangsverfahren wieder aufzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufungen sind nicht begründet. Das SG hat die Klagen zutreffend als unzulässig abgewiesen.

Zuständig für eine Wiederaufnahmeklage ist dasjenige Gericht, das zuletzt in der Sache entschieden hat (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ 13. Aufl 2020, Rn 8 zu § 179 mwN). Das war hier das SG. Dieses hat verfahrensfehlerfrei mit dem geschäftsplanmäßigen Vorsitzenden entschieden. Dieser war weder von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen noch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ist grundsätzlich gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 557 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) als unanfechtbare Vorentscheidung im Rechtsmittelverfahren nicht überprüfbar, es sei denn, der Verfahrensfehler haftet wegen seiner Schwere der angegriffenen Entscheidung selbst an. Dies ist der Fall, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht oder das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (gesetzlicher Richter) grundlegend verkannt hat (vgl zB Bundessozialgericht ≪BSG≫, Beschluss vom 14. März 2018 - B 12 R 11/17 B - juris - Rn 10 mwN), unter Umständen auch bei Verstoß gegen das rechtliche Gehör (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 60 Rn 14b mwN). Entgegen der Bewertung der Kläger liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die - wiederholte - Ablehnung ihrer Befangenheitsgesuche willkürlich oder greifbar gesetzeswidrig war.

Die Wiederaufnahmeklagen sind unzulässig.

Nach § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren unter entsprechender Anwendung der Vorschriften der ZPO wiederaufgenommen werden. Nach § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufn...

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