Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Kniegelenkschaden. Belastungsschmerzen. Knorpelschäden ohne Bewegungseinschränkungen und dauerhaft anhaltenden Reizerscheinungen. zwei Einzel-GdB von 20. Gesamt-GdB-Bildung. dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit nach § 33b Abs 2 Nr 2 Buchst b EStG. gesundheitliches Merkmal zur Inanspruchnahme eines Nachteilsausgleichs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist bei einem Kniegelenksleiden keiner der nach Teil B Nr 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV genannten Bewertungsmaßstäbe eröffnet, weil weder eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenks noch anhaltende Reizerscheinungen vorliegen, ist der GdB im Rahmen der gebotenen Gesamtschau (vgl Teil B Nr 18.1 S 2 und Nr 1 b der Anlage zu § 2 VersMedV) aller ausdrücklich geregelten Maßstäbe für Funktionseinschränkungen des Kniegelenkes in Anlehnung an die geschriebenen Bewertungsgrundlagen zu bestimmen.

2. Aus zwei Einzel-GdB von 20 muss kein Gesamt-GdB von 30 folgen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass es auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

3. Eine Feststellung der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit kommt nur in Betracht, wenn ein GdB von mindestens 25 - wegen § 152 Abs 1 S 5 SGB IX also 30 - vorliegt.

 

Orientierungssatz

1. Treten bei Knorpelschäden beider Kniegelenke (II. bis II. Grades) nach einer Gehstrecke von 2 km oder Fahrradfahren von länger als 30 Minuten im Bereich der Kniegelenke Schmerzen und Reizerscheinungen auf, kann hierfür ein GdB von 20 gerechtfertigt sein.

2. Bei der Leidensfolge "dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit" nach § 33b Abs 2 Nr 2 Buchst b EStG handelt es sich gegenüber der Behinderung selbst um ein weiteres gesundheitliches Merkmal als Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines außerhalb des SGB 9 2018 geregelten Nachteilsausgleichs, für dessen Feststellung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden zuständig sind (§ 152 Abs 4 SGB 9 2018).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch nicht für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 30 und des Vorliegens der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit (dE).

Zugunsten der 1973 geborenen Klägerin hatte noch das Versorgungsamt H mit Bescheid vom 19. Februar 1996 bestandskräftig den GdB mit 20 wegen einer Missbildung der linken Brust festgestellt.

Am 14. Dezember 2012 beantragte die Klägerin bei dem nunmehr zuständigen Beklagten die Neufeststellung ihres Behindertenstatus und zwar rückwirkend ab Januar 2010. Der Beklagte lehnte den Antrag nach medizinischen Ermittlungen mit Bescheid vom 25. April 2013 ab, wobei er eine Aufbauplastik der Brust links (Einzel-GdB: 20) und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB: 10) berücksichtigte. Mit ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin die eingangs genannten Feststellungen geltend, wobei sie neben der Aufbauplastik der Brust links und Reduktion der Brust rechts eine Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule (LWS) und insoweit auch eine außergewöhnliche Schmerzsymptomatik geltend machte. Der Beklagte wies den Widerspruch nach weiteren medizinischen Ermittlungen durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2014 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 27. Februar 2014 Klage erhoben, wobei sie die eingangs genannten Feststellungen mit Wirkung ab dem 14. Dezember 2012 geltend gemacht hat.

Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt bei Dr. B vom Hormon- und Kinderwunschzentrum (keine Vorstellung dort nach dem 30. November 2011), dem Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. B(letzte Vorstellung dort am 12. Juli 2007), dem Orthopäden H (letzte Vorstellung dort am 17. November 2011), der Allgemeinmedizinerin R und der Gynäkologin Dr. B (keine Behandlung seit 2007).

Das Sozialgericht hat bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. S ein sozialmedizinisches Gutachten vom 22. Oktober 2015 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 6. Oktober 2015 erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB sei bei der Klägerin mit 40 festzustellen wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB:

- Aufbauplastik der Brust links bei fast vollständigem Fehlen der Brustanlage, Korrektur der Reduktionsplastik rechts, mehrfach durchgeführte operative Behandlung (30);

- Kniegelenkverschleiß beidseits, Kniescheibenverrenkung rechts 1989 mit operativer Versorgung, Knorpelschaden der Rückseite der Kniescheibe (20; starker Wert);

- Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden, Nervenreizungen, Wirbelsäulenfunktionsstörungen, Kreuzbein-Darmbein-Gelenk-Blockade...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge