Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenärztliche Vereinigung. Honorarverteilung. Berechnung des arzt- bzw praxisbezogenen Regelleistungsvolumens. Praxisbesonderheit. kein Rückgriff auf die Abrechnungsdaten des gleichen Quartals. Überschreiten des praxisindividuellen Fallwerts der Arztgruppe um 30 % unbedenklich. keine Ablehnung einer Praxisbesonderheit bei Fallzahlrückgang in den letzten 6 Jahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 bietet keine ausreichende Grundlage, um ohne Regelung durch die Gesamtvertragspartner über RLV-relevante Praxisbesonderheiten zu entscheiden.

2. Weil das RLV vor Beginn eines Quartals zugewiesen werden muss, darf bei der Prüfung auf RLV-relevante Praxisbesonderheiten nicht auf die Abrechnungsdaten ebendieses Quartals zurückgegriffen werden.

3. Dass nach dem Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 im Quartal I/09 die Anerkennung einer RLV-relevanten Praxisbesonderheit davon abhing, dass der Fallwert einer Vertragsarztpraxis denjenigen der Arztgruppe um 30 % überschritt, ist unbedenklich.

4. Überschreitet der praxisindividuelle Fallwert denjenigen der Arztgruppe um den durch den (erweiterten) Bewertungsausschuss oder den Honorarverteilungsmaßstab vorgegebenen Prozentsatz, darf eine Praxisbesonderheit nicht allein unter Hinweis auf einen Fallzahlrückgang in den letzten 6 Jahren abgelehnt werden.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt ein höheres Regelleistungsvolumen (RLV) für das Quartal I/09 unter dem Aspekt von Praxisbesonderheiten.

Der Kläger nimmt als Facharzt für Kinderheilkunde seit Mai 2002 im Berliner Bezirk R an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Seit dem 11. Dezember 2007 führt er die Zusatzbezeichnung Neuropädiatrie. Der Anteil der neuropädiatrischen Gebührenordnungspositionen - GOP - (Unterkapitel 4.4.2 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs - EBM - 2008) an den vom Kläger insgesamt erbrachten Leistungen betrug in den Quartalen I/08 bis IV/08 durchschnittlich 11,31 % und im Quartal I/09 14,15 % (Bl. 100 GA).

Die Beklagte wies dem Kläger die RLV für die Quartale I/2009, II/2009, III/2009, IV/2009 und II/2010 nach folgender Berechnung zu:

I/2009

II/2009

III/2009

IV/2009

II/2010

 Arztindividuelle Fallzahl

 925   

 907   

 879   

 835   

 906   

 Fallwert der AG in Euro

 31,47

 32,71

 32,31

 32,28

 37,33

 durchschn. Fallzahl der AG

 926   

 838   

 784   

 837   

 828   

 Morbiditätsfaktor

 0,9961

 0,9944

 0,9998

 1,0064

 0,9980

 arztindividuelles RLV in Euro

 28.996,22

 29.500,38

 28.392,59

 27.123,78

 33.753,97

Gegen den die RLV-Zuweisung für das Quartal I/09 betreffenden Bescheid vom 11. Dezember 2008 erhob der Kläger Widerspruch. U.a. diesen Widerspruch wies die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2012 zurück.

Am 19. Dezember 2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten ein erhöhtes RLV, weil es ihm wegen fortwährender Erkrankung und zum Teil 50%iger Berufsunfähigkeit, besonders ab Februar 2008, trotz zunehmend neuropädiatrischer Tätigkeit nicht möglich gewesen sei, eine 30%ige Überschreitung der angeforderten Individualbudget-Punkte (IB-Punkte) zum Vorjahresquartal zu erreichen. Eine qualifizierte neuropädiatrische Versorgung im Norden Berlins sei mit dem ihm mitgeteilten RLV finanziell nicht machbar.

Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 2009 ab. Zwar überschreite der arztindividuelle RLV-relevante Fallwert aus dem Quartal I/08 den RLV-Fallwert der Arztgruppe der hausärztlichen / fachärztlichen Kinderärzte ohne Schwerpunkt um 30,03 %. Es habe aber auch die Fallzahlentwicklung seiner Praxis des Quartals I/08 im Vergleich zu den letzten vier Quartalen vor Einführung der Individualbudgetierung (III/02 bis II/03) betrachtet werden müssen. Da der Kläger ab dem 11. November 2007 die Zusatzbezeichnung Neuropädiatrie führe und einen dadurch bedingten Fallzahlrückgang geltend mache, sei zur Bestimmung der Fallzahlentwicklung das Quartal I/07 im Vergleich zu den letzten vier Quartalen vor Einführung der Individualbudgetierung betrachtet worden. Wegen des hier zu verzeichnenden Fallzahlrückgangs von 3,14 % reduziere sich die Fallwert-Differenz auf 26,89 %, so dass der Antrag abzulehnen gewesen sei.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2009 zurück und führte zur Begründung aus: Nach dem Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses (EBewA) vom 27./28. August 2008 seien Praxisbesonderheiten - soweit es das Quartal I/09 betreffe - erst ab einem Umfang von 30 % Fallwertüberschreitung anerkennungsfähig. Die Differenz zwischen dem arztindividuellen Fallwert des Klägers im Quartal I/08 (40,92 Euro) und dem RLV-Fallwert der Arztgruppe (31,47 Euro) des Quartals I/09 betrage 30,03 % und bewege ...

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