Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenärztliche Vereinigung. Honorarverteilungsmaßstab. Unzulässigkeit der Bildung von Individualbudgets nach dem 1.4.2005

 

Leitsatz (amtlich)

Sofern ein Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab ab dem 1.4.2005 noch die Bildung eines Individualbudgets vorsieht, verstößt dies gegen § 85 Abs 4 SGB 5 und die Vorgaben des Bewertungsausschusses; Individualbudgets stellen kein Steuerungsinstrument dar, das den gesetzlich vorgegebenen Regelleistungsvolumen in seinen Auswirkungen vergleichbar ist.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 03. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt war, das Honorar der Klägerin für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3, die Beklagte zu 1/3.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um die Festsetzung eines höheren Individualbudgets für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007.

Die Klägerin nimmt seit 1991 als Ärztin für Allgemeinmedizin im Verwaltungsbezirk M an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Mit Wirkung vom 1. Juli 2003 ermittelte die Beklagte entsprechend den Regelungen im seinerzeit geltenden Honorarverteilungsmaßstab (HVM) für die Klägerin folgendes Individualbudget:

Primärkassen

Ersatzkassen

Quartalsumsatz

21.481,65 Euro

10.461,23 Euro

IB-Punkte je Quartal

420.144

204.604

IB-Punkte je Quartal,

Fachgruppengrenzwert

324.004

243.005

Hiermit gab die Klägerin sich für die Jahre 2003 bis 2005 zufrieden.

Mit Schreiben vom 2. April 2006, 2. Juli 2006 und 1. Oktober 2006 beantragte die Klägerin eine Neufestsetzung ihres Individualbudgets. Aufgrund der Schließung der in der Nähe befindlichen Arztpraxis von Frau Dr. M habe sie von dort rund 150 Patienten übernommen. Gegenüber dem Bemessungsjahr habe sich ihre Fallzahl damit erheblich, nämlich um etwa 16 Prozent, erhöht. Zum Nachweis legte sie Listen der von Frau Dr. M übernommenen Patienten vor.

Mit Bescheid vom 3. November 2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 27. März 2007, lehnte die Beklagte den Antrag auf Neufestsetzung des Individualbudgets ab. Die Patientenübernahme sei nicht hinreichend dokumentiert, um für die Höhe des Individualbudgets Relevanz entfalten zu können. Zudem seien die Fallzahlen der Klägerin relativ konstant und aktuell nur 3,29 Prozent höher als im Bemessungsjahr 2002, so dass die Erheblichkeitsschwelle von 10 Prozent nicht erreicht sei:

- Basiszeitraum 2002: durchschnittlich 844 Patienten pro Quartal,

- III/2003 bis II/2004: durchschnittlich 829 Patienten pro Quartal,

- III/2004 bis II/2005: durchschnittlich 793 Patienten pro Quartal,

- III/2005 bis II/2006: durchschnittlich 871 Patienten pro Quartal.

Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage, gerichtet auf eine Neufestsetzung des Individualbudgets ab dem Quartal II/2006, hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt: Die Patientenübernahme sei hinreichend dokumentiert und habe zu einer 16-prozentigen Steigerung der Fallzahlen geführt. Zudem begegne der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten rechtlichen Bedenken, weil er entgegen höherinstanzlicher Rechtsprechung und entgegen den in § 85 SGB V getroffenen Regelungen überhaupt die Bildung eines Individualbudgets vorsehe.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2009 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Neufestsetzung bzw. Erweiterung des Individualbudgets infolge der Übernahme von Patienten aus einer umgezogenen Praxis lägen nicht vor. Das Wachstum der Fallzahlen nach Umzug der Praxis M gegenüber dem Bemessungsjahr 2002 sei nicht hinreichend signifikant. So habe die Klägerin im Jahre 2002 durchschnittlich 844 Patienten pro Quartal behandelt, im Jahre 2006 dagegen im Schnitt 931 Patienten. Die Steigerung betrage nur 10,3 Prozent.

Gegen das ihr am 6. Juli 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. Juli 2009 Berufung eingelegt. Ergänzend bringt sie vor: Die Fallzahlsteigerung 2002 gegenüber 2006 sei mit 10,3 Prozent durchaus erheblich.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren mitgeteilt, dass die Honorarbescheide der Klägerin für die Quartale II/2006 bis I/2007 nicht bestandskräftig seien, anders als diejenigen für die Quartale II/2007 bis IV/2008.

Hierauf hat die Klägerin ihr Begehren auf die Quartale II/2006 bis I/2007 beschränkt und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar für den Zeitraum der Quartale II/2006 bis I/2007 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Revision zuzulassen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung fü...

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