Entscheidungsstichwort (Thema)

Kassenärztliche Vereinigung. Honorarverteilungsvertrag ab 1.4.2005. Rechtmäßigkeit. Individualbudgetierungsregelung. Fortführung iS der Öffnungsklausel in Teil III Ziff 2.2 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29.12.2004. Berechnung des Individualbudgets vor dem 1.4.2005. Bemessungszeitraum von vier Quartalen

 

Leitsatz (amtlich)

Sofern ein Vertrag über den Honorarverteilungsmaßstab ab dem 1.4.2005 noch die Bildung eines Individualbudgets vorsieht, verstößt dies gegen § 85 Abs 4 SGB 5 und die Vorgaben des Bewertungsausschusses; Individualbudgets stellen kein Steuerungsinstrument dar, das den gesetzlich vorgegebenen Regelleistungsvolumen in seinen Auswirkungen vergleichbar ist.

 

Orientierungssatz

Vor dem 1.4.2005 war es sachwidrig, die Bemessung von Individualbudgets auf weniger als vier Quartale zu stützen (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 24.11.2010 - L 7 KA 37/07).

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Dezember 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2005 und der Bescheid vom 13. März 2007 werden geändert.

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom  9. Juli 2003 auf Neufestsetzung ihres Individualbudgets für die Quartale III/2003 bis I/2005 unter Heranziehung der Quartale II/2000 bis I/2001 als Bemessungszeitraum neu zu entscheiden.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, das Honorar der Klägerin für die Quartale III/05 bis II/07 und IV/07 bis III/08 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte 6/7 und die Klägerin 1/7.

Die Revision wird im Hinblick auf den Feststellungsausspruch (Zeit ab dem Quartal III/05) zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Neufestsetzung ihres Individualbudgets für die Quartale III/03 bis I/05 sowie die Feststellung, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihr Honorar für die Quartale III/05 bis II/07 und IV/07 bis III/08 durch ein Individualbudget zu begrenzen.

Die Klägerin nimmt seit April 1993 an der vertragsärztlichen Versorgung teil, seit Februar 1997 als Fachärztin für Nervenheilkunde im Verwaltungsbezirk P. Vom  11. Juni 2001 bis zum 31. Dezember 2002 arbeitete sie mit Genehmigung der Beklagten wegen Mutterschaft (Geburt des zweiten Kindes am 21. Juli 2001) und Fortbildung zur Psychoanalytikerin nur halbtags.

Ihre Praxisumsätze in den Quartalen I/2001 bis II/2003 betrugen:

Quartal I/2001

Quartal II/2001

Quartal III/2001

Quartal IV/2001

Primär-kassen

Ersatz-kassen

Primär-kassen

Ersatz-kassen

Primär-kassen

Ersatz-kassen

Primär-kassen

Ersatz-kassen

7.066,70€

14.461,02 €

4.186,8€

5.594,87 €

3.444,72 €

4.033,72 €

3.980,23 €

4.940,67 €

Quartal I/2002

Quartal II/2002

Quartal III/2002

Quartal IV/2002

Primär-kassen

Ersatz-kassen

Primär-kassen

Ersatz-kassen

Primär-kassen

Ersatz-kassen

Primär-kassen

Ersatz-kassen

4.251,81 €

6.085,09 €

4.516,10 €

8.663,19 €

4.888,22 €

5.995,59 €

5.591,25 €

7.836,08 €

Quartal I/2003

Quartal II/2003

Primärkassen

Ersatzkassen

Primärkassen

Ersatzkassen

5.960,75 €

8.300,06 €

5.773,43 €

8.222,72 €

Mit Wirkung vom 1. Juli 2003 setzte die Beklagte für die Praxis der Klägerin ein Individualbudget fest und zog hierfür - entsprechend den Regelungen im seinerzeit geltenden Honorarverteilungsmaßstab (HVM) - als Bemessungsgrundlage die Umsätze der Klägerin im Jahre 2002 heran, nämlich im Primärkassenbereich durchschnittlich 4.811,85 € pro Quartal und im Ersatzkassenbereich durchschnittlich 7.144,99 € pro Quartal. Als Individualbudget errechnete sich auf dieser Grundlage eine Punktmenge pro Quartal in Höhe von 94.111 im Primär- und von 139.744 im Ersatzkassenbereich, während die Fachgruppengrenzwerte (Nervenärzte/Neurologen/Psychiater) 261.659 Punkte im Primär- und 272.110 Punkte im Ersatzkassenbereich betrugen.

Mit Schreiben vom 9. Juli 2003 beantragte die Klägerin eine Neufestsetzung ihres Individualbudgets. Das Jahr 2002 sei für ihre Praxistätigkeit nicht repräsentativ. Aufgrund ihrer Mutterschaft habe sie maximal halbtags gearbeitet und sei pro Woche nur fünf bis 10 Stunden vertreten worden. Sie betreibe eine Mischpraxis mit neurologisch-psychiatrischen Patienten und mit Psychotherapie-Patienten. Für letztere sei eine Vertretung unmöglich. Außerdem befinde sie sich in Weiterbildung zur Psychoanalytikerin, so dass die insoweit angefallenen Behandlungsstunden über eine Institutsambulanz hätten abgerechnet werden müssen. Im Jahre 2002 sei allein hier eine Gesamtpunktzahl von 318.010 Punkten angefallen. Vor dieser Sondersituation seien in den Anfangsjahren ihrer Tätigkeit mit der Praxis wesentlich höhere Umsätze erzielt worden, so etwa im Jahr 1998 insgesamt 176.986,18 DM und in den Quartalen II/2000 bis 1/2001 insgesamt 166.677,99 DM.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2003 setzte die Beklagte daraufhin das Individualbudget der Klägerin unter Berücksichtigung von Mutterschaft und Fortbildung im Jahre 2002 neu fest und zog hierfür ausschließlich das Quartal I/2003 als Bemess...

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