Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung von Vorverfahrenskosten. Anspruch auf Freistellung von den Rechtsanwaltskosten. Zulässigkeit der Aufrechnung durch die zur Kostenerstattung verpflichtete Behörde. fehlende Gleichartigkeit der Leistungen

 

Orientierungssatz

1. Zur Möglichkeit der Aufrechnung eines Anspruchs auf Freistellung von der Rechtsanwaltsvergütung nach § 63 SGB 10 mit Ansprüchen der zur Kostenerstattung verpflichteten Behörde gegen den Leistungsempfänger.

2. Ein verfahrensrechtlicher Aufwendungsersatzanspruch (hier: Kostenerstattungsanspruch) kann bei einer weiter bestehenden Verbindlichkeit als Freistellungsanspruch geltend gemacht werden. Gegen diesen Freistellungsanspruch kann mangels Gleichartigkeit iS von § 387 BGB nicht mit einer Geldforderung aufgerechnet werden.

 

Normenkette

SGB X § 63 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; BGB §§ 387, 257, 362 Abs. 1; SGG § 193

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 20.02.2020; Aktenzeichen B 14 AS 17/19 R)

BSG (Beschluss vom 08.05.2019; Aktenzeichen B 14 AS 141/18 B)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit sind Rechtsanwaltskosten eines Widerspruchsverfahrens i.H.v. noch 512,22 €.

Die 1988 geborene Klägerin zu 1. ist die Mutter der in den Jahren 2007-2015 geborenen Kläger zu 2. - 4.. Die Klägerin zu 1. lebt mit den Kindern getrennt vom Vater der Kinder. Die Kläger stehen seit geraumer Zeit im Leistungsbezug von Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bei dem Beklagten.

Mit vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 26. Mai 2015 bewilligte der Beklagte den Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Monate Juni bis November 2015. Diese Bewilligung änderte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 31. August 2015 für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis zum 30. November 2015 ab. Gegen diesen Änderungsbescheid erhoben die anwaltlich vertretenen Kläger mit der Begründung Widerspruch, dass die Kläger zu 2. und 3. zu Unrecht in der Bedarfsgemeinschaft nicht berücksichtigt worden seien und ein Alleinerziehungsmehrbedarf nicht berücksichtigt worden sei. Zudem beantragten die Kläger beim Sozialgericht Berlin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine entsprechende höhere Leistungsbewilligung und legten hierbei eine Erklärung der Klägerin zu 1. und eine Erklärung des Kindesvaters vor, wonach der Kindesvater diese Kinder nur im Rahmen seines Umgangsrechts zu sich hole. Der Beklagte gab dem Widerspruch mit Bescheid vom 14. Oktober 2015 in vollem Umfang statt und erkannte mit weiterem Schreiben vom 14. Oktober 2015 die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten und die Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen Anwaltsgebühren an, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen sind.

Mit Kostennote vom 20. Oktober 2015 machten daraufhin die Kläger Anwaltskosten i.H.v. insgesamt 595 € geltend.

Der Beklagte forderte die Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 23. Oktober 2015 zur Mitteilung auf, ob sie (die Anwältin) sich den Gebührenerstattungsanspruch der Kläger hat abtreten lassen oder dieser im Rahmen eines gesetzlichen Forderungsübergangs auf sie übergegangen sei. Darauf teilte die Prozessbevollmächtigte der Kläger mit, dass weder eine Abtretung noch ein Forderungsübergang erfolgt sei.

Mit Schreiben vom 5. November 2015 teilte der Beklagte der Prozessbevollmächtigten mit, dass die mit Schreiben vom 20. Oktober 2015 beantragten Kosten i.H.v. 595 € in voller Höhe anerkannt werden. Dieser Kostenerstattungsanspruch werde jedoch mit Forderungen gegenüber den Klägern aufgerechnet. Hierzu legte der Beklagte eine Aufrechnungserklärung gegenüber den Klägern vom 5. November 2015 vor. Nach dieser Aufrechnungserklärung bestünden gegen die Kläger zu 1., 2. und 3. Erstattungsforderungen aus bestandskräftigen Bescheiden der Jahre 2011 bis 2015 in Höhe von insgesamt 237,32 € bei der Klägerin zu 1., 115,55 € bei der Klägerin zu 2. und 318,12 € bei dem Kläger zu 3.. Dem stünden jeweils Kostenerstattungsansprüche i.H.v. 198,33 € bei den Klägerinnen zu 1. und zu 2. und von 198,34 € bei dem Kläger zu 3. gegenüber. Insgesamt ergebe sich daraus lediglich bei der Klägerin zu 2. ein Kostenerstattungsanspruch in Höhe von noch 82,78 €. Diesen Betrag zahlte der Beklagte direkt an die Prozessbevollmächtigte der Kläger.

Die anwaltlich vertretenen Kläger haben am 25. November 2015 Klage bei dem Sozialgericht Berlin eingelegt.

Sie sind der Ansicht, gegen den Beklagten einen Anspruch auf Freistellung von dem Vergütungsanspruch der Prozessbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren zu haben. Die Rechtsanwaltskosten seien zu erstatten, weil der Widerspruch erfolgreich und die anwaltliche Vertretung notwendig war. Die erfolgte Aufrechnung sei rechtswidrig, weil verschiedene Forderungen miteinander aufgerechnet würden, die nich...

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