Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Aufrechnung eines Freistellungsanspruchs von Kosten des Widerspruchsverfahrens mit einem Kostenerstattungsanspruch der Behörde

 

Orientierungssatz

1. Eine Aufrechnung setzt nach § 387 BGB die Gleichartigkeit der geschuldeten Leistungen voraus.

2. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB 10 stellt einen Freistellungsanspruch dar, solange der Erstattungsgläubiger den Vergütungsanspruch seines Rechtsanwalts noch nicht beglichen hat. § 63 Abs. 1 S. 1 SGB 10 erfasst nicht nur einen Aufwendungsersatzanspruch des Mandanten gegen die Behörde, sondern ebenso einen Freistellungsanspruch.

3. An den Voraussetzungen einer gleichartigen Forderung gemäß § 387 BGB fehlt es, wenn eine Geldforderung einem Freistellungsanspruch gegenübersteht.

4. Eine Aufrechnungserklärung des Grundsicherungsträgers mit einem Erstattungsanspruch über Leistungen des SGB 2 gegen einen Freistellungsanspruch über Kosten des Widerspruchsverfahrens ist damit unzulässig und führt nicht zum teilweisen Erlöschen des Aufwendungsersatzanspruchs.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten für den gesamten Rechtsstreit zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Freistellung der Klägerin von den Rechtsanwaltskosten für drei erfolgreich durchgeführte Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 9. August 2011 hob der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Juli 2011 u.a. gegenüber der Klägerin teilweise in Höhe von 523,47 Euro auf. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Mit weiteren Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 31. Oktober 2012 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 13. August 2011 bis 31. Oktober 2011 in Höhe von 532,80 Euro, für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 30. April 2012 in Höhe von 888,00 Euro und für die Zeit vom 1. Juni 2012 bis 30. September 2012 in Höhe von 682,16 Euro auf. Auch diese Bescheide wurden bestandskräftig.

Am 21. Mai 2014 legte der Prozessbevollmächtigte für die Klägerin und ihren Sohn Widerspruch gegen einen Bescheid vom 25. April 2014 ein. Der Widerspruch wurde unter der Nummer W registriert. Am 22. Mai 2014 legte der Prozessbevollmächtigte außerdem für die Klägerin und ihren Sohn gegen einen Versagungsbescheid vom 23. April 2014 Widerspruch ein, der zur Widerspruchsnummer W registriert wurde. Schließlich wurde vom Prozessbevollmächtigten am 4. Juni 2014 für die Klägerin und ihren Sohn Widerspruch gegen die im Abhilfebescheid vom 4. Juni 2014 getroffene Kostengrundentscheidung eingelegt. Der Widerspruch wurde unter der Nummer W registriert.

Den Widersprüchen lag eine Vollmacht der Klägerin zugrunde, welche u.a. unter Punkt 5 „zur Übertragung der Vollmacht ganz oder teilweise auf andere“ den Passus enthielt, dass etwaige Kostenerstattungsansprüche an die Bevollmächtigten abgetreten werden, die diese Abtretung annehmen.

Mit Abhilfebescheiden vom 4. Juni 2014, 14. August 2014 und 15. August 2014 gab der Beklagte den Widersprüchen statt und erklärte, dass er die in den Widerspruchsverfahren W, W und W entstandenen notwendigen Kosten der in diesen Verfahren von ihrem Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägerin erstatten werde und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten insofern als notwendig anerkenne.

Mit Schreiben vom 22. August 2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte jeweils unter Bezugnahme auf die vom Beklagten getroffenen Kostenentscheidungen, die Kosten seiner Zuziehung in den einzelnen Widerspruchsverfahren entsprechend beigefügter Kostenberechnungen wie folgt festzusetzen:

- für das Verfahren W der Klägerin und eines weiteren Widerspruchsführers insgesamt 487,90 Euro,

- für das Verfahren W der Klägerin und eines weiteren Widerspruchsführers insgesamt 487,90 Euro,

- für das Verfahren W der Klägerin und eines weiteren Widerspruchsführers insgesamt 297,62 Euro.

Mit an den Prozessbevollmächtigten gerichtetem Schreiben vom 16. Oktober 2014 erkannte der Beklagte die für das Verfahren W geltend gemachten Kosten in voller Höhe als erstattungsfähig an, erklärte sich jedoch unter Verweis auf eine beigefügte Aufrechnungserklärung gleichen Datums nur zu einer Auszahlung in Höhe von 243,95 Euro bereit. Dies begründete der Beklagte damit, dass gegen die Klägerin u.a. aus dem Bescheid vom 9. August 2011 eine Erstattungsforderung bestehe, von der noch ein Betrag in Höhe von 298,84 Euro offen sei. Gemäß § 406 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - könne die gegen den bisherigen Gläubiger bestehende Forderung gegenüber dem neuen Gläubiger aufgerechnet werden, wenn die Forderung bereits vor dem Zeitpunkt der Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs fällig geworden sei. Bei Erwerb des Erstattungsanspruchs habe der Beklagte keine Kenntnis von der Vorausabtretung der im gegenständlichen Widerspruchsverfahren zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung etwaig sich ergebenden Kost...

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