Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Verletztenrente. Leistungsfeststellung. Verfahrensvorschrift. Übergangsrecht. Geltung für frühere Versicherungsfälle

 

Leitsatz (amtlich)

Sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Verletztenrente vor dem 1.1.1997 erfüllt, kommt die Ausnahmeregelung des § 214 Abs 3 SGB 7 nicht zur Anwendung. Nach dem in § 212 SGB 7 normierten Versicherungsfallprinzip gelten dann auch bei einer nach dem 31.12.1996 erfolgten Leistungsfeststellung die Bestimmungen des § 1546 Abs 1 RVO über den Beginn der Leistungen.

 

Orientierungssatz

§ 72 Abs 1 SGB 7 ist eine materiell-rechtliche Regelung, deren Anwendung auf frühere Versicherungsfälle jedenfalls aus § 214 Abs 4 SGB 7 nicht hergeleitet werden kann.

 

Tatbestand

Streitig ist der Beginn der dem Kläger wegen der Folgen der als Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) anerkannten obstruktiven Atemwegserkrankung bewilligten Verletztenrente.

Für den 1944 geborenen Kläger, der bis zum 31. Dezember 1991 als Müller beschäftigt war, erstattete der Lungenarzt P F im März 1995 eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit. Im Mai 1995 machte der Kläger selbst bei der Beklagten Ansprüche wegen der Berufskrankheit Nr. 4301 geltend. Diese hatte den Antrag zunächst durch Bescheid vom 19. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 1996 abgelehnt. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin (S 69 U 442/96) kam es, nachdem weitere medizinische Unterlagen eingereicht worden waren, zum Abschluss eines Vergleichs, durch den sich die Beklagte verpflichtete, umgehend in ein Feststellungsverfahren einzutreten und nach dessen Abschluss rechtsbehelfsfähig zu entscheiden.

Nach Einholung eines Gutachtens des Chefarztes der Pneumologie und Kardiologie des DRK-Krankenhauses M B Prof. Dr. D vom 28. Februar 1997 in der korrigierten Fassung vom 14 April 1997 erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 5. August 1997 das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur BKVO an und bewilligte dem Kläger ab 1. März 1995 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H.. Zur Begründung des Rentenbeginns wurde unter Bezugnahme auf § 1546 Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgeführt, zwar sei der Versicherungsfall am 1. Januar 1992 eingetreten (dem Tag nach der Aufgabe der Berufstätigkeit), der Antrag sei jedoch erst im März 1995 gestellt worden, also nicht innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch verlangte der Kläger Rentenzahlung ab 1. Januar 1992. Dass die Rente ab Eintritt des Versicherungsfalls -- unabhängig von der Antragstellung -- zu beginnen habe, folge aus der Übergangsregelung des § 214 Abs. 3 des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), wonach die dem Verfahrensrecht zuzuordnende Bestimmung des § 1546 RVO keine Anwendung mehr finde. Durch Widerspruchsbescheid vom 3. April 1998 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) habe in einem Rundschreiben vom 4. März 1998 empfohlen, bei Altfällen, bei denen (wie hier) der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1995 eingetreten sei, die zweijährige Anmeldefrist des früheren § 1546 RVO weiter anzuwenden.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten. für die Frage des Rentenbeginns sei auf § 72 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII abzustellen, der über § 214 Abs. 3 SGB VII anwendbar sei. Denn nach dieser Bestimmung gelten die Vorschriften über Renten (§§ 56 ff SGB VII) auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des In-Kraft-Tretens des SGB VII eingetreten seien, wenn diese Leistungen nach dem In-Kraft-Treten des SGB VII "erstmals festzusetzen" seien. Zwar seien die Worte "erstmals festzusetzen" nicht eindeutig und daher auslegungsbedürftig. Die amtliche Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/2204 S. 121 zu § 219 des Entwurfs) stelle jedoch eindeutig auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Leistungsfeststellung ab, der hier nach dem 31. Dezember 1996 liege. Als Rentenbeginn ergebe sich somit der 1. Januar 1992.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 2. November 1998 mit im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen: Der Umstand, dass u.a. § 1546 RVO mit Wirkung ab 1. Januar 1997 aufgehoben worden sei, habe für den hiesigen Fall keine Bedeutung. Bei der in § 1546 Abs. 1 Satz 1 RVO normierten Frist handele es sich um eine Ausschlussfrist, deren Wesen es sei, dass eine bestimmte Rechtshandlung innerhalb der Frist vorgenommen sein müsse, sofern nicht ein bestimmter Rechtsnachteil eintreten solle. Das Recht sei nur für die Dauer der Frist gegeben. Mit dem Fristablauf gehe es unter. Bei -- wie hier -- vor dem 1. Januar 1995 eingetretenen Versicherungsfällen trete mithin immer ein Anspruchsverlust kraft Gesetzes ein, sofern der Anspruch -- wie hier -- später als zwei ...

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