Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Richtgrößen-Vereinbarung. Rückwirkungsverbot. Veröffentlichung
Orientierungssatz
1. Eine Richtgrößen-Vereinbarung (hier: 1998) einer Kassenärztlichen Vereinigung verstößt gegen das Rückwirkungsverbot, wenn sie erst im Laufe des betreffenden Kalenderjahres vereinbart wurde und ein rückwirkendes Inkrafttreten für das gesamte Kalenderjahr vorsieht.
2. Für die Gültigkeit einer Richtgrößen-Vereinbarung ist ihre Publikation erforderlich.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die Aufhebung der Festsetzung einer Schadensersatzverpflichtung gegen die Beigeladene zu 4) wegen der Überschreitung der Richtgrößen für die von ihr 1998 verordneten Arznei-, Verband- und Heilmittel durch den Beklagten.
Der Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin setzte mit Beschluss vom 17. Oktober 2000 gegen die Beigeladene zu 4), eine zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, auf Grund der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Arznei-, Verband- und Heilmitteln wegen der Überschreitung der Richtgrößen 1998 eine Schadensersatzverpflichtung in Höhe von 1.160,08 DM fest. Die Beigeladene zu 4) habe nach der zwischen der Beigeladenen zu 1) einerseits, den Klägern, den Beigeladenen zu 2) und 3) sowie der Bundesknappschaft andererseits am 20. April 1998 abgeschlossenen und im KV-Blatt 7/98 (S. A 160) veröffentlichten Vereinbarung über die Festsetzung von Richtgrößen und Prüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreitung der Richtgrößen (Richtgrößen-Vereinbarung) für das Jahr 1998 die für sie maßgebliche Richtgrößensumme von 5.797,68 DM mit festgestellten Bruttoverordnungskosten von 13.775,- DM bei anerkannten Praxisbesonderheiten in Höhe von 3.414 DM um 7.977,32 DM bzw. 137,60 % überschritten.
Auf die dagegen von den Beigeladenen zu 1) und 4) erhobenen Widersprüche hob der Beklagte mit Beschluss vom 25. April 2001 die Schadensersatzverpflichtung auf. Die Beigeladene zu 4) sei unter Verwendung der Richtgrößen für die Psychotherapeuten geprüft worden, obwohl sie zur Hälfte ihrer Tätigkeit neurologisch gearbeitet habe. Sie sei deshalb der Fachgruppe der Neurologen zuzurechnen. Eine Neuberechnung unter Zugrundelegung der Richtgrößen der Nervenärzte ergebe eine deutliche Unterschreitung der Richtgrößensumme.
Gegen diese Entscheidung haben die Kläger beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Die Entscheidung des Beklagten sei rechtswidrig. Die Anwendung der höheren Richtgrößen für Nervenärzte sei willkürlich, da eine überwiegende Tätigkeit als Nervenärztin nicht festzustellen sei. Außerdem habe sich die Beigeladene zu 4) bei ihrer Zulassung verpflichtet, nur psychotherapeutisch tätig zu sein, um in dem für Nervenärzte wegen Überversorgung gesperrten Gebiet zugelassen werden zu können. Deshalb sei die Anwendung der Richtgrößen für Psychotherapeuten gerechtfertigt.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Mai 2002 die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die der Berechnung der Schadensersatzverpflichtung zu Grunde gelegten Bruttoverordnungskosten nicht in voller Höhe durch Originalverordnungen bzw. Images belegt werden könnten. Eine Nachprüfbarkeit der elektronisch gemeldeten Daten sei nach Ansicht des Gerichtes jedoch erforderlich, weil sich in nahezu allen dem Gericht zur Entscheidung vorliegenden Fällen Differenzen zwischen den von den Kassen gemeldeten und den durch Originalverordnungen belegten Kosten ergeben hätten und Daten über die Fehlerquote der von den Kassen gemeldeten Kosten nicht vorlägen. Wegen der bis zur Meldung der Daten an die Beigeladene zu 1) erforderlichen Arbeitsschritte bei unterschiedlichen Stellen könne von einer erheblichen Fehleranfälligkeit des Systems ausgegangen werden, die auch bei den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen bekannt sei. Die großen Unterschiede zwischen den gemeldeten und den nachgewiesenen Verordnungskosten im vorliegenden Fall zeigten, dass eine Überprüfung der elektronisch gemeldeten Daten stattfinden müsse. Außerdem könne der betroffene Vertragsarzt nur an Hand der Verordnungsblätter und Images die der Richtgrößenprüfung zu Grunde gelegten Bruttoverordnungskosten überprüfen; eine andere Kontrolle sei wegen des komplizierten Abrechnungssystems bei Arznei- und Heilmittelverordnungen auf Grund der maschinell an die Beigeladene zu 1) gemeldeten Verordnungskosten für den Arzt nicht möglich. Heilmittelanalysen oder Verordnungslisten könnten die Vorlage von Originalverordnungen oder Images nicht ersetzen, weil darauf nicht nachvollzogen werden könne, welche Kosten von welchem Arzt verursacht worden seien. Dem stünden die gesetzlichen Bestimmungen des SGB V nicht entgegen. Denn sie schlössen eine Pflicht zur Vorlage von Originalbelegen zur Kontrolle gemeldeter Verordnungskosten nicht aus. Ob die Richtgrößen-Vereinbarung für 1998 im Hinblick auf ihre späte Publizierung für das gesamte Jahr 1998 Gültigkeit beanspruchen und Grundlage für den festg...