Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Aufklärungspflicht. Beweisantrag. polnische Beitragszeiten. Beitragsnachentrichtung nach dem SozSichAbkSchlProt ISR
Orientierungssatz
1. Zur Beitragsnachentrichtung nach Nr 11 Buchst a SozSichAbkSchlProt ISR bei bisher nicht glaubhaft gemachten bzw nicht überwiegend wahrscheinlichen polnischen Beitragszeiten.
2. Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Aufklärungspflicht wegen Nichtberücksichtigung eines Beweisantrags ohne hinreichende Begründung hinsichtlich der Glaubhaftmachung von polnischen Beitragszeiten.
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Beitragsnachentrichtung und auf Altersrente.
Die 1909 in L/Polen geborene Klägerin ist Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes mit anerkanntem Freiheits-, Gesundheits- und Berufsschaden. Nach Ablegung der Reifeprüfung 1927 studierte sie Rechtswissenschaften und erwarb im Oktober 1931 das Magister-Diplom. Im August 1932 wurde sie zur Gerichtsapplikantin ernannt. Im Februar 1934 heiratete sie ihren ersten Ehemann. Zu dieser Zeit war sie -- ausweislich einer Heiratsurkunde von 1946 -- bereits Rechtsanwaltsapplikantin 1945 verließ sie Polen, wanderte im Februar 1946 in P ein und lebt dort seit 1948 als israelische Staatsangehörige. Zum israelischen Versicherungsträger entrichtete sie von 1954 bis 1970 Pflichtbeiträge als Selbständige.
Im Entschädigungsverfahren gab die Klägerin 1963 an, sie sei bis zum Jahre 1934 Gerichtsapplikantin und danach bis 1937 Rechtsanwaltsanwärterin in einer Anwaltspraxis gewesen. Seit Anfang des Jahres 1938 habe sie ihre eigene Kanzlei geführt. Ihr damaliger (erster) Ehemann sei Mitinhaber einer der bedeutendsten Kohlenfirmen in L, ihr Vater Mitinhaber einer der größten Seidenfabriken Polens gewesen. Sofort nach Eröffnung ihrer Anwaltspraxis sei ihr von beiden Firmen die juristische Vertretung übertragen worden. Deshalb habe sie sofort nach Eröffnung ihrer Kanzlei ein erhebliches Einkommen gehabt. Die Zeugen ... W, I G und ... K bestätigten in eidesstattlichen Versicherungen die Tätigkeit der Klägerin als selbständige Rechtsanwältin ab 1938, die beiden Zeuginnen darüber hinaus, dass die Klägerin bereits seit 1936 in den Firmen ihres Ehemannes und ihres Vaters als Justiziarin tätig gewesen sei.
Im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Berufsschaden erkannte die Entschädigungsbehörde zugleich die Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) an.
1975 beantragte die Klägerin bei der Beklagten u.a. die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung und die Gewährung eines Altersruhegeldes. Sie gab nunmehr an, nach der Tätigkeit von August 1932 bis 1934 als Gerichtsapplikantin von 1934 bis September 1939 gegen ein monatliches Entgelt von 300,-- bis 500,-- Zloty unter Entrichtung von Pflichtbeiträgen als Rechtsanwaltsapplikantin beschäftigt gewesen zu sein. Dass sie diese Tätigkeit bis September 1939 ausgeübt habe, bestätigten die Zeugen ... K und ... S in eidesstattlichen Erklärungen. Der polnische Versicherungsträger teilte mit, dass Versicherungsnachweise für die Klägerin nicht aufgefunden worden seien. Die Beklagte vermerkte die Zeiten von August 1932 bis August 1939 als glaubhaft gemachte Beschäftigungszeiten nach § 16 Fremdrentengesetz (FRG). Im März 1977 nahm die Klägerin ihre Anträge zurück.
1995 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut u.a. die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung und die Gewährung einer Rente. Durch Bescheid vom 26. Juli 1996 lehnte die Beklagte die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung nach dem -- allein in Betracht kommenden -- Zusatzabkommen zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) in Verbindung mit § 17 a FRG sowie die Gewährung einer Altersrente ab. Die Wartezeit sei nicht erfüllt, weil auf sie keine Zeiten anzurechnen seien. In der Zeit vom 1. August 1932 bis 31. August 1939 wären bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 17 a FRG ausschließlich Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG anzuerkennen. Mit diesen Zeiten sei eine Nachentrichtung nach dem Zusatzabkommen jedoch nicht möglich.
Im Widerspruchsverfahren erläuterte die Beklagte, dass festangestellte Beschäftigte im öffentlichen Dienst -- etwa bei einem Gericht -- im Gegensatz zu den sogenannten Vertragsangestellten Anspruch auf beamtenrechtliche Versorgung nach dem "Gesetz über die Emeritalversorgung staatlicher Funktionäre" vom 11. Dezember 1923 gehabt und deshalb nicht der Rentenversicherungspflicht unterlegen hätten. Diese Bestimmungen seien erst 1954 aufgehoben worden, so dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst erst seit dem 1. Juli 1954 einer gesetzlichen Rentenversicherung im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 FRG angehörten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. April 1997 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin (SG) stellte die Beklagte aufgrund der zwischenzeitlich eingesehenen Entschädigungsakte zwar die Zuge...