Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall in der Schul- oder Berufsausbildung. Verletztenrente. Jahresarbeitsverdienst. Abstrakte Schadensberechnung. Neufestsetzung. Stichtag
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei der Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) nach einem Unfall während der Schul- oder Berufsaubildung gem. § 90 Abs. 1 SGB VII sind allein Ausbildung und Alter einer Vergleichsperson, nicht aber der zeitliche Umfang einer konkret ausgeübten Tätigkeit maßgeblich (abstrakte Schadensberechnung).
2. Eine wegen der Neufestsetzung des JAV neu zu berechnende Verletztenrente beginnt nach § 73 Abs. 1 SGB VII erst nach Ablauf des Monats, in dem die Änderung wirksam geworden ist, und damit unabhängig vom Stichtag für die Neufestsetzung des JAV.
Normenkette
SGB VII § 90 Abs. 1, § 73 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Berlin (Urteil vom 25.09.2003; Aktenzeichen S 25 U 576/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2003 aufgehoben, soweit das Sozialgericht den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 25. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2002 verurteilt hat, der Klägerin höhere Verletztenrente für die Zeit vom 28. September 2000 bis 30. September 2000 zu gewähren. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe einer Verletztenrente.
Die 1970 geborene Klägerin erlitt als Schülerin bei einem Wegeunfall am 8. Oktober 1984 u.a. schwere Kopfverletzungen. Seit dem 9. Oktober 1984 gewährt ihr der Beklagte Verletztenrente, und zwar zuletzt ab 1. November 1993 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 v.H. auf der Grundlage eines Jahresarbeitsverdienstes (JAV) von 25.807,00 DM (Bescheide vom 25. Februar 1986, 25. August 1986, 26. August 1988 und 27. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 1994). Die Klägerin absolvierte nach ihrer unfallbedingt ein Jahr längeren Schulausbildung ein Studium der Humanmedizin und war nach ihrer ärztlichen Prüfung am 27. Mai 1999 als Ärztin im Praktikum ab 8. November 1999 tätig. Die Approbation als Ärztin erfolgte mit Wirkung vom 27. September 2001 (Approbationsurkunde des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin vom 27. September 2001). Seit Januar 2002 ist die Klägerin im Krankenhaus N halbtags als Ärztin unter Eingruppierung in die Vergütungsgruppe II a des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) beschäftigt.
Nach Einholung von Arbeitgeberauskünften erteilte der Beklagte den „Bescheid über Erhöhung des JAV” vom 25. Juni 2002 für die Zeit ab 28. September 2000. Darin setzte der Beklagte den JAV für die Zeit bis 30. Juni 2001 auf 38.046,33 DM, für die Zeit ab 1. Juli 2001 auf 38.773,01 DM, für die Zeit ab 1. Januar 2002 auf 19.824,33 Euro und für die Zeit ab 1. Juli 2002 auf 20.252,54 Euro – jeweils nach Maßgabe des JAV für eine halbtagsbeschäftigte approbierte Ärztin – fest. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin ohne den Unfall ihr Medizinstudium voraussichtlich am 27. September 2000, d.h. ein Jahr früher, abgeschlossen hätte. Der Widerspruch der Klägerin, mit dem diese die Zugrundelegung eines JAV einer vollzeitbeschäftigten approbierten Ärztin begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. August 2002).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat den Beklagten mit Urteil vom 25. September 2003 unter Änderung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 28. September 2000 höhere Verletztenrente auf der Grundlage eines Arbeitsentgelts „entsprechend BAT II a für eine volltagsbeschäftigte approbierte Ärztin” zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei begründet. Der Beklagte sei gemäß § 90 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) verpflichtet, der Neufestsetzung des JAV ein Arbeitsentgelt entsprechend der Vergütungsgruppe II a BAT für eine Vollzeitbeschäftigte zu Grunde zu legen. Die Regelung des § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VII orientiere sich allein an der Ausbildung und dem Alter der Versicherten, nicht jedoch am zeitlichen Umfang einer nach dem Stichtag gegebenenfalls konkret ausgeübten ausbildungsgerechten Beschäftigung. Sinn und Zweck der Regelung sei es, die Entschädigung von Verletzten mit entwicklungsbedingt noch fehlendem oder niedrigem Einkommen nicht auf Dauer daran auszurichten. Eine Orientierung an der konkreten beruflichen Situation bei der Neufeststellung würde zu zufälligen und unbilligen Ergebnissen führen.
Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen dieses Urteil. Er trägt vor: Gemäß § 90 Abs. 1 SGB VII sei vorliegend lediglich das tarifvertragliche Einkommen einer entsprechenden Teilzeitbeschäftigung zu Grunde zu legen. Denn nach Sinn und Zweck der Regelung solle der Versicherte vom Zeitpunkt der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung an hinsichtlich der JAV-Berech...