Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Richtgrößen-Vereinbarung. Rückwirkungsverbot. Veröffentlichung
Orientierungssatz
1. Eine Richtgrößen-Vereinbarung (hier 1998) einer Kassenärztlichen Vereinigung verstößt gegen das Rückwirkungsverbot, wenn sie erst im Laufe des betreffenden Kalenderjahres vereinbart wurde und ein rückwirkendes Inkrafttreten für das gesamte Kalenderjahr vorsieht.
2. Für die Gültigkeit einer Richtgrößen-Vereinbarung ist ihre Publikation erforderlich.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Festsetzung einer Schadensersatzverpflichtung gegen den Beigeladenen zu 6) wegen der Überschreitung der Richtgrößen für die von ihm 1998 verordneten Arznei-, Verband- und Heilmittel durch den Beklagten.
Der Prüfungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin setzte mit Beschluss vom 6. Februar 2001 gegen den Beigeladenen zu 6), einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt für Allgemeinmedizin, auf Grund der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Arznei-, Verband- und Heilmitteln wegen der Überschreitung der Richtgrößen 1998 eine Schadensersatzverpflichtung in Höhe von 4.792,07 DM fest. Der Beigeladene zu 6) habe nach der zwischen der Beigeladenen zu 1) einerseits, dem Kläger, den Beigeladenen zu 2) - 5) sowie der Bundesknappschaft andererseits am 20. April 1998 abgeschlossenen und im KV-Blatt 7/98 (S. A 160) veröffentlichten Vereinbarung über die Festsetzung von Richtgrößen und Prüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreitung der Richtgrößen (Richtgrößen-Vereinbarung) für das Jahr 1998 die für ihn maßgebliche Richtgrößensumme von 352.308,55 DM mit festgestellten Bruttoverordnungskosten von 445.944,01 DM um 93.635,46 DM bzw. 26,58 % überschritten.
Auf den dagegen von der Beigeladenen zu 1) erhobenen Widerspruch hob der Beklagte mit Beschluss vom 22. Mai 2001 die Schadensersatzverpflichtung auf. Eine korrekte Ermittlung der Richtgrößenüberschreitung sowie eines Regressbetrages sei nicht möglich, weil die Krankenkassen und ihre Verbände für den Beigeladenen zu 6) die durch ihn veranlassten Bruttoverordnungskosten nicht vollständig durch Originalverordnungen bzw. Images belegt hätten. Die bloße Meldung der durch den Arzt veranlassten Bruttoausgaben reiche hierfür nicht aus, wenn die Richtigkeit der Daten angezweifelt worden sei. Die Durchsicht der dem Beklagten vorgelegten Unterlagen habe ergeben, dass die gemeldeten Bruttoverordnungskosten durch Originalverordnungen und Images lediglich in Höhe von 337.369,48 DM belegt seien. Die Summe der gemeldeten Ausgaben des Beigeladenen zu 6) sei darüber hinaus auch deshalb anzuzweifeln, weil bei einigen Krankenkassen höhere Verordnungskosten belegt als gemeldet worden seien.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Der Beklagte habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit bei Überschreiten von Richtgrößen eine statistische Prüfung und keine Einzelfallprüfung sei. Nur bei einer Einzelfallprüfung sei es erforderlich, eine Regressierung in jedem Einzelfall im Sinne einer strengen Beweisführung vorzunehmen. Bei der statistischen Prüfung dagegen sei eine gewisse Ungenauigkeit systemimmanent. Angesichts der Tatsache, dass eine Verpflichtung zum Schadensersatz erst festgesetzt werde, wenn der Vertragsarzt die Richtgröße um 25% überschritten habe, sei ein hinreichender Ausgleich für statistische Ungenauigkeiten geschaffen worden. Außerdem habe der Beklagte bei seiner Entscheidung verkannt, dass es für das von ihm aufgestellte zusätzliche Prüfelement der vollständigen Vorlage der Originalverordnungen bzw. Images an einer Ermächtigungsgrundlage fehle. Weder das Gesetz noch die Prüfkriterien für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Verordnungsweise bei Richtgrößenüberschreitung (KV-Blatt 9/99, A 236 - Prüfvereinbarung -), die die Prüfgremien ihren Entscheidungen zu Grunde zu legen hätten, forderten eine lückenlose Vorlage der Verordnungsblätter. Vielmehr sehe das Gesetz in § 296 Abs.3 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch - SGB V - die papierlose Datenübermittlung vor, so dass bei einer vollständigen Realisierung des elektronischen Datenaustausches unter Berücksichtigung der durch §§ 295 Abs.1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 5, 300 Abs. 1 und 3 SGB V normierten Pflichten für Vertragsärzte und Apotheker ohnehin keine Verordnungsblätter mehr vorlägen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Mai 2002 die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die der Berechnung der Schadensersatzverpflichtung zu Grunde gelegten Bruttoverordnungskosten nicht in voller Höhe durch Originalverordnungen bzw. Images belegt werden könnten. Eine Nachprüfbarkeit der elektronisch gemeldeten Daten sei nach Ansicht des Gerichtes jedoch erforderlich, weil sich in nahezu allen dem Gericht zur Entscheidung vorliegenden Fällen Differenzen zwischen den von den Kassen gemeldeten und den durch Originalverordnungen belegten Kosten ergeben hätten und Daten übe...