nicht rechtskräftig

 

Verfahrensgang

SG Potsdam (Entscheidung vom 08.05.2001; Aktenzeichen S 7 KR 63/00)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. Mai 2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat den Klägerinnen auch die entstandenen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Versorgung ihrer Versicherten mit Heilmitteln (Krankengymnastik und Massagen) vor Leistungserbringung und nach erfolgter ärztlicher Verordnung von einer vorherigen Genehmigung abhängig machen darf.

Die Klägerin zu 1) ist als Physiotherapeutin seit 01. April 1991 selbständig tätig. Sie ist für die Erbringung von Leistungen der Physikalischen Therapie gemäß § 124 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - zugelassen und dem Vertrag nach § 125 Abs. 2 SGB V über physiotherapeutische Leistungen zwischen dem VdB-Physiotherapeutenverband e. V. u. a. und dem AOK Bundesverband/Bonn u. a. vom 03. September 1990 und Nachfolgeverträgen beigetreten.

Die Klägerin zu 2) ist Mitglied der Beklagten. Sie ist an multipler Sklerose erkrankt. Ihr wurde von dem Nervenarzt Dr. med. E. B. mit ärztlicher Verordnung vom 04. April 2000 6 x Krankengymnastik nach Bobath in häuslicher Anwendung verordnet.

Im März 2000 wandte die Beklagte sich mit einem Faltblatt "Massagen und Krankengymnastik Neuregelung ab 01. April 2000" an ihre Mitglieder und führte u. a. aus, dass ab 01. April 2000 Verordnungen von Krankengymnastik und Massagen vor der Leistungserbringung von ihr zu genehmigen seien. Das Faltblatt hatte u. a. folgenden Wortlaut:

"Ab 01. April 2000 sind Verordnungen von Krankengymnastik und Massagen vor Beginn der Behandlung von Ihrer AOK zu genehmigen. Diese Zustimmung dient Ihrer Sicherheit: So können Sie sich darauf verlassen, dass die AOK als gesetzliche Krankenkasse die Kosten übernehmen darf und der Physiotherapeut seine Leistungen mit uns abrechnen kann"

Die Beklagte informierte im März 2000 auch die Klägerin zu 1) über die beabsichtigte Neuregelung und führte u. a. aus:

"Damit Sie sichergehen, dass wir verordnete Leistungen übernehmen, werden Sie bitte bei Verordnungen ab Ausstellungsdatum 01. April 2000 nicht ohne Genehmigung tätig."

Mit der am 26. April 2000 vor dem Sozialgericht Potsdam zusammen mit dem Deutschen Verband für Physiotherapie - Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnasten (ZVK) e. V., Landesverband Brandenburg im ZVK e. V. erhobenen Klage, haben sich die Klägerinnen gegen die Einführung einer Genehmigungspflicht von ärztlich verordneten Leistungen gewandt.

Zur Begründung haben sie geltend gemacht, dass die eingeführte Genehmigungspflicht von Verordnungen im Bereich der Physiotherapie zum 01. April 2000 gegen geltendes Recht verstoße. Jede medizinisch indizierte ärztliche Verordnung physiotherapeutischer Leistungen begründe gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V den Anspruch des Patienten auf eine die Versorgung mit Heilmitteln umfassende Krankenbehandlung. Dieser Anspruch werde beeinträchtigt, wenn sich die Beklagte selbst ermächtige, über ihre Leistungspflicht autonom zu entscheiden. Die Kompetenz zur Konkretisierung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf Krankenbehandlung der kassenärztlichen Versorgung sei auf den Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen übertragen worden. Einzig dieser Ausschuss sei legitimiert, durch Richtlinien zur Sicherung der kassenärztlichen Versorgung im Rahmen des Möglichen abstrakt-generelle Maßstäbe aufzustellen, fortzuschreiben und jederzeit zu korrigieren, nach denen das im Einzelfall medizinisch Notwendige sowie dessen Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Erforderlichkeit zu beurteilen sei.

Die Feststellung des medizinisch Notwendigen unterliege weder einem Bestimmungsrecht des Versicherten noch der Wahl oder hoheitlichen Entscheidung der Krankenkasse. Ausschlaggebend sei vielmehr, dass ein an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmender und dadurch mit der erforderlichen Rechtsmacht beliehener Arzt als Kassenarzt das Vorliegen einer Krankheit feststelle und eine medizinisch nach Zweck und Art bestimmte Dienst- oder Sachleistung zu ihrer Behandlung verordne. Die Beklagte müsse sich die kompetenzgemäße kassenärztliche Tätigkeit zurechnen lassen. Durch die eigenmächtige Einführung der Genehmigungspflicht werde zudem in das gesetzlich verbriefte Recht der Heilmittelverbände auf Verfahrensteilhabe eingegriffen. Gemäß § 125 SGB V sei die Beklagte verpflichtet, die Einzelheiten der Versorgung mit Heilmitteln, die Preise und das Abrechnungsverfahren durch Verträge zu vereinbaren. Die Mitwirkung der Beklagten bei der Leistungserbringung in Form einer vorherigen Bewilligungsentscheidung sei angesichts der großen Zahl von Behandlungsfällen auch nicht praktikabel und deshalb in den die vertragsärztliche Versorgung regelnden Vorschriften nur ausnahmsweise für die Fälle der Schönheitsoperationen und des stationären Krankenhausaufenthaltes vorgesehen.

Das streit...

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