Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung (hier: Eteplirsen ≪Exondys 51≫). keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Muskel-Dystrophie Duchenne. vorläufige Versorgung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Muskeldystrophie Duchenne handelt es sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung von Kindern.

2. Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung mit kausalem Ansatz steht derzeit nicht zur Verfügung.

3. Für den Einsatz des in Deutschland und in der Europäischen Union (noch) nicht, aber in den USA vorläufig zugelassenen Arzneimittels Eteplirsen (Exondys 51) kann im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Heilungsverlauf nach Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen bejaht werden; diesbezüglich steht nicht entgegen, dass die EMA die bisher vorliegende Studienlage als (noch) nicht ausreichend beurteilt und die Genehmigung (noch) nicht erteilt hat, wenn schon die bisherigen Studien Hinweise auf einen Wirkmechanismus erkennen lassen, der Hersteller das Genehmigungsziel weiter verfolgt und neue Studien laufen.

4. All dies rechtfertigt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Versorgung des Kindes mit diesem Medikament, dies allerdings zunächst zur Überprüfung auf einen beschränkten Zeitraum befristet.

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts für das Saarland vom 3.4.2019 wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren um den Erlass einer einstweiligen Anordnung darum, ob der bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragsteller vorläufig mit Eteplirsen (Exondys) zu versorgen ist.

Der 2010 geborene Antragsteller leidet an einer Muskel-Dystrophie Duchenne (DMD). Prof. Dr. M. Z. von der Klinik für Allgemeine Pädiatrie und Neonatologe der Universitätsklinik H. stellte am 18.12.2018 für den Antragsteller bei der Antragsgegnerin einen Antrag zur Kostenübernahme für eine wöchentliche Infusion mit Eteplirsen. Der Arzt beschrieb die Erkrankung als Ursache einer signifikanten Einschränkung der motorischen Funktionen mit starker Beschränkung der Funktionalität der Muskeln, verursacht durch unterschiedliche Mutationen im Chromosom X. Seit Geburt gebe es eine Entwicklungsverzögerung, ab dem 4. Lebensjahr zeige sich ein Verlust der motorischen Fähigkeiten und bei etwa 12 Jahren seien die Patienten rollstuhlpflichtig. Die Beweglichkeit werde weiter eingeschränkt und umfasse obere Extremitäten, Lungenfunktion und Herz. Die Lebenserwartung liege bei etwa 20-30 Jahren. Der Arzt verweist weiter darauf, dass in den USA seit September 2016 die Behandlung zugelassen sei. Studien zeigten eine Hemmung des natürlichen Krankheitsverlaufs und ein Stillstand sei zu erwarten. Eine gleich wirksame alternative Therapie gebe es nicht. Er bitte um Prüfung und Bestätigung der Kostenübernahme und um die Fotokopie des Bescheids an sich selbst.

Mit Bescheid vom 3.1.2019 lehnte die Antragsgegnerin, gerichtet an die Mutter des Antragstellers, eine Kostenbeteiligung ab. Nach dem Krankenhausentgeltgesetz und den Diagnosis Related Groups (DRG) dürften Zusatzentgelte nur nach dem Katalog abgerechnet werden. Es sei eine neue Methode im stationären Bereich und die Kriterien der NUB-Vereinbarungen seien nicht erfüllt.

In einem Schreiben vom 14.1.2019 erhob Prof. Dr. Z. Widerspruch. Er verwies darauf, dass die Infusion ambulant erfolge und eine stationäre Aufnahme nicht erforderlich sei. Wörtlich: “der Versicherte stellt hiermit einen entsprechenden Leistungsantrag und bittet um Mitteilung, dass Sie die Kosten der Therapie mit Eteplirsen bei der Indikation DMD übernehmen„.

Die Antragsgegnerin schaltete den MDK ein und unterrichtete die Mutter des Antragstellers am 28.1.2019 hierüber. Im Gutachten vom 1.2.2019 empfahl der MDK, den Antrag abzulehnen. Mit den aktuell verfügbaren Daten könne eine positive Nutzen-Risikobewertung nicht bestätigt werden. Die vorgenommenen Studien seien methodisch zweifelhaft. Zwar mögen Hinweise auf eine Produktion von verkürztem Dystrophin den Wirkmechanismus des Arzneimittels unterstützen, jedoch sei ein überzeugender Nachweis einer anhaltenden funktionellen Wirkung notwendig. Wirksamkeit und Sicherheit seien nicht ordnungsgemäß oder hinreichend nachgewiesen worden. Alternativ sei eine Behandlung nach den Leitlinien mittels vertraglicher und zugelassener Heilmittel und Hilfsmittel nach Maßgabe der Ärzte möglich.

Daraufhin beschied die Antragsgegnerin die Mutter des Antragstellers unter dem 4.2.2019 erneut negativ. Das Arzneimittel sei weder in Deutschland noch in der Europäischen Union zugelassen und werde nur in wenigen Ausnahmefällen auf einem Kassenrezept verordnet.

Hiergegen wehrte sich Prof. Dr. Z. erneut, verwies a...

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