Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Fertigarzneimittel (hier: Eteplirsen) -grundrechtsorientierte Leistungsauslegung. kein Anspruch bei Indikation für welche eine Genehmigung in einem Zulassungsverfahren abzulehnen war. ablehnendes Gutachten des Ständigen Ausschusses für Humanarzneimittel. fehlende Weiterverfolgung des Zulassungsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Leistungsanspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Eteplirsen (Exondys 51) besteht auch nicht nach den Grundsätzen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V. Sie begründet keinen Anspruch auf Fertigarzneimittel für eine Indikation, für die eine Genehmigung in einem Zulassungsverfahren nach VO (EG) Nr 726/2004 (juris: EGV 726/2004) abzulehnen war. Dazu genügt es, dass der Ständige Ausschuss für Humanarzneimittel ein im Ergebnis ablehnendes Gutachten erstellte, ohne dass der Antragsteller das Verfahren weiterverfolgt (BSG vom 11.9.2018 - B 1 KR 36/17 R - juris RdNr 15ff = GesR 2019, 38; vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R = BSGE 122, 181 = SozR 4-2500 § 2 Nr 6, RdNr 18ff).

2. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 4.7.2019 einen Anordnungsanspruch auf Versorgung mit Eteplirsen (Exondys) bejaht hatte, ging er von einer Weiterverfolgung des Zulassungsverfahrens durch den Hersteller aus (LSG Saarbrücken vom 4.7.2019 - L 2 KR 6/19 B ER - juris RdNr 33 = A&R 2019, 185), was sich jedoch nicht bestätigt hat.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts für das Saarland vom 15.9.2021 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Dem Antragsteller wird gemäß §§ 73a SGG, 119 Absatz 1 Satz 2 ZPO Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwältin Thiry-Kirsch, B-Stadt, beigeordnet..

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung einer Arzneimitteltherapie mit dem Medikament Eteplirsen (Exondys 50).

Der 2005 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Er leidet an einer Muskeldystrophie des Typs Duchenne (DMD) mit einer Deletion des Exone 50 im Dystrophin-Gen. Er ist nicht mehr gehfähig.

Am 15.1.2019 beantragte der Antragsteller mittels eines ärztlichen Attestes des Universitätsklinikums (UKS) vom 8.1.2019 die Kostenübernahme für das Arzneimittel Eteplirsen (Exondys 51). Bei der DMD handele es sich um eine seltene, fortschreitende, schwerwiegende und die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende lebensbedrohliche Erkrankung mit signifikanter Einschränkung der motorischen Funktionen. Sie sei verursacht durch unterschiedliche Mutationen im Chromosom X. Die Patienten zeigten seit Geburt eine Entwicklungsverzögerung. Ab dem 4. Lebensjahr zeigten sie einen Verlust der motorischen Fähigkeiten und seien somit im Alter von ca. 12 Jahren rollstuhlpflichtig. Im Verlauf zeigten die Patienten eine zunehmende Einschränkung der Beweglichkeit der oberen Extremitäten, eingeschränkte Lungenfunktion mit Herzinsuffizienz. Die Folge sei eine verringerte Lebenserwartung mit Todesfolge ab dem 20. bis 30. Lebensjahr. Das Arzneimittel Eteplirsen sei am 19.9.2016 durch die FDA (U.S. Food and Drug Administration) für Behandlung der DMD zugelassen worden. Die Zulassung bei der EMA (European Medicines Agency, Europäische Arzneimittelagentur) stehe noch aus. Eteplirsen sei ein Splicingmodifier und stelle die Proteinexpression des Dystrophie-Proteins wieder her, um ein verkürztes, aber partiell funktionelles Protein zu bilden. Die Zulassungsstudien zeigten eine Hemmung des natürlichen Krankheitsverlaufs. Bei einer Anzahl der Patienten komme es zu einer Reduktion des Verlusts der Gehfähigkeit sowie einer Hemmung der Lungenfunktionseinschränkung.

In einem von der Antragsgegnerin eingeholten Gutachten des MDK vom 28.1.2019 wird ausgeführt, am 12.12.2018 habe das CHMP (Committe for Medicinal Products for Human Use, deutsch: Ausschuss für Humanarzneimittel, ein wissenschaftlicher Ausschuss der EMA) ein Negativ-Votum im Antragsverfahren zur Zulassung von Eteplirsen in der vorliegenden Indikation ausgesprochen. Der CHMP sei der Auffassung gewesen, dass es mit den aktuell verfügbaren Daten nicht möglich sei zu schlussfolgern, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Eteplirsen bei DMD-Patienten mit für Exon-51-Skipping geeigneten Mutationen positiv sei. Dies sei einer Ablehnung der Zulassung durch die EMA gleichgestellt, eine Therapie zulasten der GKV scheide aus sozialmedizinischen Gründen aus.

Mit Bescheid vom 1.2.2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Kostenübernahme für die Arzneimitteltherapie mittels Eteplirsen ab und stütze sich zur Begründung auf das Gutachten des MDK.

Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch vom 25.2.2019 und reichte eine umfassende Stellungnahme des UKS vom 19.2.2019 ein. Ohne Therapieeinsatz von Eteplirsen werde er in ca. sechs bis zehn Jahren auf eine ...

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