Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Vorabentscheidung durch den EuGH. soziale Sicherheit. Krankenversicherungspflicht in Deutschland oder der Schweiz. Ausübung der Tätigkeit in zwei Mitgliedstaaten der EU und Drittstaaten. wesentlicher Teil der Tätigkeit. Berücksichtigung von Tätigkeiten in Drittstaaten
Leitsatz (amtlich)
Dem Europäischen Gerichtshof werden folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts nach Art 267 AEUV vorgelegt:
1. Ist Art 13 Abs 1 VO (EG) Nr 883/2004 (juris: EGV 883/2004) in Verbindung mit Art 14 Abs 8 VO (EG) Nr 987/2009 (juris: EGV 987/2009) dahin auszulegen, dass bei der Prüfung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, alle Tätigkeiten des Arbeitnehmers einschließlich seiner Tätigkeit in Drittstaaten zu berücksichtigen sind?
2. Oder ist Art 13 Abs 1 VO (EG) Nr 883/2004 in Verbindung mit Art 14 Abs 8 VO (EG) Nr 987/2009 dahin auszulegen, dass bei der Prüfung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, nur die Tätigkeiten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind, die in Mitgliedstaaten ausgeübt werden?
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Europäischen Gerichtshof werden folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts nach Art. 267 AEUV vorgelegt:
1. Ist Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass bei der Prüfung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, alle Tätigkeiten des Arbeitnehmers einschließlich seiner Tätigkeit in Drittstaaten zu berücksichtigen sind?
2. Oder ist Art. 13 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 8 VO (EG) Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass bei der Prüfung, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeübt wird, nur die Tätigkeiten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind, die in Mitgliedstaaten ausgeübt werden?
Tatbestand
A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
I. Streitgegenstand
Streitig ist, ob der Kläger vom 1.12.2015 bis 30.11.2020 in Deutschland oder in der Schweiz der Krankenversicherungspflicht unterlag.
II. Sachverhalt
Der am ... geborene und in Deutschland wohnende Kläger war im Zeitraum vom 1.12.2015 bis zum 31.12.2020 bei der Beigeladenen, die ihren Sitz in der Schweiz hat, abhängig beschäftigt. Er ist Lebensmitteltechniker und wurde von seiner Arbeitgeberin im Rahmen seiner Tätigkeit als Exporttechnologe eingesetzt. Seine Tätigkeit bestand darin, die Kunden vor Ort aufzusuchen und dort zu beraten, Schulungen und Seminare durchzuführen sowie Verkostungen. Die Kunden befanden sich überwiegend in den Drittstaaten Russland, Moldawien, Weißrussland, Ukraine und Iran. In der Schweiz und in Deutschland arbeitete er gewöhnlich an je 10 ½ Tagen im Quartal. Im Übrigen war er in Ländern außerhalb der Europäischen Union tätig. Bei der Tätigkeit in Deutschland handelte es sich um Arbeiten im Homeoffice am Wohnort des Klägers. Der Kläger hat seine monatliche Vergütung einheitlich erhalten und ohne anteilige Zuweisung je nach Tätigkeitsort.
Er wandte sich am 19.11.2015 an den Beklagten und verwies darauf, dass er bei der Beigeladenen beschäftigt sei und weniger als 25 % seiner Beschäftigung in Deutschland ausübe.
Zum 1.12.2015 schloss der Kläger eine Krankenversicherung in der Schweiz bei der „S.“ ab. Mit Schreiben vom 22.2.2016 teilte das Amt für Sozialbeiträge des Kantons D-Stadt-Stadt mit, dass es den Nachweis der Krankenversicherung erhalten habe und zur Kenntnis nehme, dass der Kläger die gesetzliche Versicherung nach KVG (Krankensicherungsgesetz) in der Schweiz gemäß den bilateralen Abkommen (EU/EFTA-Prämie für Deutschland) abgeschlossen habe. Der Kläger werde informiert, dass der Wechsel zu einer gesetzlichen oder privaten Versicherung im grundsätzlich nicht mehr möglich sei. Am 16.12.2015 wurde dem Kläger eine Grenzgängerbewilligung für die Schweiz erteilt.
Mit Bescheid vom 18.8.2016 stellte der Beklagte gestützt auf Art. 13 VO (EG) Nr. 883/2004 fest, dass für das klägerische Beschäftigungsverhältnis für die Zeit vom 1.12.2015 bis zum 30.11.2020 die deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit Anwendung fänden, und stellte eine entsprechende A1-Bescheinigung aus. Der Kläger übe die Beschäftigung gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedsstaaten aus. Mehr als ein wesentlicher Teil der Beschäftigung werde in seinem Wohnstaat, Deutschland, erbracht, so dass die deutschen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit Anwendung fänden.
Gleichlautende Schreiben ergingen auch unter Beifügung der A1-Bescheinigung an die Beigeladene und das Bundesamt für Sozialversicherungen in B. sowie zum Zwecke der Beitragsüberwachung auch an die deutsche Krankenkasse B. und die deutsche gesetzliche Unfallversicherung.
Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2020 zurück. In den Gründen wurde ausgeführt, dass sich der Kläger gegen die Festlegung der deutschen Rechtsvorschriften über die ...