Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Einhaltung der Klagefrist. Zugang des Widerspruchsbescheids. Dreitagesfrist. Behauptung eines späteren Zugangs. Erforderlichkeit des substantiierten Vortrags für entsprechende tatsächliche Umstände. keine Verlängerung der Dreitagesfrist bei Fristende am Sonntag nach § 64 Abs 3 SGG. keine stillschweigende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Entscheidung über einen offengebliebenen Wiedereinsetzungsantrag in der Rechtsmittelinstanz

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Zweifelsfall iS des § 37 Abs 2 S 3 Halbs 2 SGB 10 liegt grundsätzlich dann vor, wenn der Empfänger den Zugang des Verwaltungsaktes überhaupt bestreitet oder einen späteren Zugang als 3 Tage nach der Aufgabe zur Post behauptet. Hinsichtlich der Behauptung eines späteren Zugangs ist allerdings mit der hM zu fordern, dass der Adressat substantiiert Umstände vorbringt, die ein tatsächliches Abweichen von der gesetzlichen Zugangsvermutung möglich erscheinen lassen, etwa eine überholte Postanschrift oder einen Ausfall der Postzustellung in der fraglichen Zeit.

Eine Verlängerung der Dreitagesfrist des § 37 Abs 2 SGB 10 kommt nicht in Betracht, wenn das Fristende auf einen Sonntag fällt.

Eine stillschweigende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem § 67 SGG ist nicht möglich; die Wiedereinsetzung kann vielmehr ausschließlich durch eine eindeutig verlautbarte Entscheidung gewährt werden.

 

Orientierungssatz

Das Rechtsmittelgericht kann einen in der Vorinstanz offengebliebenen Wiedereinsetzungsantrag ablehnen, wenn eine positive Entscheidung von vornherein nicht in Betracht kommt.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 26.03.2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten in der Sache darüber, ob der Beklagte der Klägerin das gesundheitliche Merkzeichen H (= Hilflosigkeit) zu Recht aberkannt hat.

Die 1987 geborene Klägerin stellte am 05.01.1989 erstmals einen Antrag auf Anerkennung einer Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Mit Bescheid vom 10.04.1989 stellte das Versorgungsamt Saarland einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 fest und erkannte gleichzeitig die gesundheitlichen Merkzeichen H, G (= erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), und B (= auf ständige Begleitung bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen) an.

In der Folge wurde mit Bescheid vom 05.05.1994 der GdB von 100 bestätigt und zusätzlich zu den bereits anerkannten H, G und B das gesundheitliche Merkzeichen RF (= Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) anerkannt.

Mit Bescheid vom 13.10.2005 wurden dann die gesundheitlichen Merkzeichen G und B wieder aberkannt.

Mit Schreiben vom 03.01.2010 teilte die Klägerin mit, dass sie im Juni 2009 das Berufskolleg beendet und im Juli 2009 eine dreijährige Ausbildung bei Eo. in E. begonnen habe.

Mit Schreiben vom 28.08.2012 teilte die Klägerin mit, dass sie die Ausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation bei Eo. erfolgreich abgeschlossen habe und bei Eo.- R. Gas vorläufig übernommen worden sei.

Nach Anhörung teilte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 04.10.2012 mit, dass ihr das gesundheitliche Merkzeichen H nach Abschluss der Ausbildung nicht mehr zustehe.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, der nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme (vom 20.11.2012) mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2013 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Gegen den ausweislich eines in den Verwaltungsakten enthaltenen Vermerks am 07.03.2013 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin per Telefax am 15.04.2013 Klage beim Sozialgericht für das Saarland (SG) erhoben, wobei sie gleichzeitig wegen der Versäumung der Klagefrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt hat.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages hat der Klägerbevollmächtigte u.a. vorgetragen, unstreitig sei die Klagefrist versäumt worden. Weder seine - des Klägerbevollmächtigten - Mitarbeiterin noch er hätten eine Erklärung dafür. Er könne nicht rekonstruieren, warum gerade in der vorliegenden Sache die Frist versäumt worden sei. Möglich erscheine, dass durch das falsche Fax-Datum (12.03.2013 laut Fax der Klägerin statt dem tatsächlichen Eingang bei ihm am 13.03.2013) ein Missverständnis eingetreten sei dahin, dass der 13.03.2013 auch den Zugang des Bescheides markiere. Auch sei möglich, dass er - da er tatsächlich in den letzten 2 Wochen teils bettlägerig erkrankt gewesen sei - an irgendeiner Stelle der Kommunikation zum praktisch ersten Mal in seinem rund 40-jährigen Juristenleben objektiv nicht hinreichend aufmerksam gewesen sei.

In der Sache hat die Klägerin u.a. vorgetragen, der Beklagte habe sie willkürlich aus dem Kreis mit dem Merkzeichen “H„ ausgeschlossen. Der Beklagte stütze sich dabei ausschließlich auf die “Versorgungsmedizinischen Grundsätze„; diese seien aber ...

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