Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Mehrbedarf bei Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G. Überprüfungsverfahren. Nachzahlung von Sozialleistungen für höchstens ein Jahr. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 116a SGB 12 iVm § 44 Abs 4 SGB 10 bestimmte Ein-Jahres-Frist betrifft alle Leistungsbereiche nach dem SGB 12.
2. § 116a SGB 12 ist verfassungskonform und verstößt insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Aus Art 3 Abs 1 GG ergibt sich keine Verpflichtung, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (so bereits BVerfG vom 27.2.2007 - 1 BvR 1982/01 = SozR 4-8100 Art 19 Nr 1 RdNr 33). Die rückwirkende Erbringung (höherer) existenzsichernder Leistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten (vgl BSG vom 23.2.2017 - B 4 AS 57/15 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 34 RdNr 30).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 30.04.2018 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begeht im Wege des Zugunstenverfahrens (§ 116a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII - i.V.m. § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII auch für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.12.2015.
Bei dem 1981 geborenen Kläger besteht nach einer frühkindlichen Hirnschädigung eine Hirnleistungsminderung. Er hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen “G„ und “B„ (Bescheid vom 28.06.2005) und steht unter Betreuung (Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 10.11.2008). Er erhielt zunächst ab 23.02.2005 (Bescheid vom 06.04.2005) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nach Feststellung, dass der Kläger nicht erwerbsfähig sei, gewährte ihm der Beklagte ab dem 01.01.2006 Leistungen nach den Vorschriften des SGB XII, zunächst nach dem 3. Kapitel, ohne einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung zu berücksichtigen (vgl. Bescheid vom 15.12.2005).
In der Folge berechnete der Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2016 die gewährten Grundsicherungsleistungen für die Zeit von Januar 2013 bis einschließlich April 2016 wegen Änderung der Verhältnisse bei den Hauslasten sowie bezüglich der Heizkosten neu, hob gemäß §§ 48, 50 SGB X die vorangegangenen Bewilligungsbescheide teilweise auf und forderte den Überzahlungsbetrag i.H.v. 209,31 € zurück. Mit weiterem Bescheid von 20.04.2016 hob der Beklagte den Bescheid vom 19.04.2016 gemäß § 44 Abs. 1 SGB X mit Wirkung ab 01.01.2013 hinsichtlich der zuerkannten Regelbedarfsstufe unter Berücksichtigung von ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23.07.2014 und 24.03.2015 auf, berechnete die Leistungen ab diesem Zeitpunkt neu und setzte die Grundsicherungsleistungen für Januar 2013 bis einschließlich Juni 2016 - mit einer Nachzahlung an den Kläger in einer Gesamthöhe von 3.116,- € - neu fest.
Nachdem der Rentenversicherungsträger dem Beklagten auf dessen Ersuchen vom 28.10.2016 mitteilte, dass der Kläger seit Geburt auf Dauer voll erwerbsgemindert sei (Schreiben vom 02.12.2016), stellte der Beklagte die bisher erbrachten Leistungen ein und gewährte nunmehr ab 01.01.2017 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII (Bescheide vom 18.01.2017). Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch (Schreiben vom 20.01.2017) und machte geltend, es sei kein Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung berücksichtigt worden. Mit Bescheiden vom 17.03.2017 half der Beklagte dem Widerspruch ab, hob den Bewilligungsbescheid vom 18.01.2017 auf und berechnete ab 01.01.2017 die Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung mit Merkzeichen “G„ neu. Gleichzeitig hob er mit weiterem Bescheid vom 17.03.2017 den Bescheid vom 20.04.2016 gemäß § 44 Abs. 1 SGB X mit Wirkung ab 01.01.2016 auf und setzte die gewährten Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum von 01.01.2016 bis 31.12.2016 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung neu fest.
Hiergegen erhob der Kläger am 29.03.2017 Widerspruch und begehrte den Mehrbedarf bereits ab 2013.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Eine rückwirkende Leistung des Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung sei wegen § 116a SGB XII i.V.m. § 44 SGB X auf ein Jahr begrenzt, berechnet ab Beginn des Jahres, in dem die Aufhebung erfolgt sei.
In dem am 16.06.2017 eingeleiteten Klageverfahren vor dem Sozialgericht für das Saarland (SG) hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und hierzu im Wesentlichen geltend gemacht, der Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII stehe ihm unter Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X zumindes...