Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss der rückwirkenden Gewährung eines Mehrbedarfs nach dem SGB 12

 

Orientierungssatz

1. Ein bestandskräftiger Bewilligungsbescheid über Leistungen des SGB 2 des zuständigen Grundsicherungsträgers enthält konkludent i. S. von § 31 SGB 10 die Regelung, dass dem Betroffenen keine über die bewilligten Leistungen hinausgehende Leistungen zustehen. Eine Korrektur ist insoweit nur über die Vorschrift des § 44 SGB 10 möglich (Anschluss: BSG, Urteil vom 10. November 2011, B 8 SO 12/10 R).

2. Der Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 SGB 12 setzt u. a. voraus, dass die leistungsberechtigte Person die Feststellung des Merkzeichens "G" nachweist. Auch eine rückwirkende Feststellung dieses Merkzeichens ändert nichts daran, dass der von § 30 Abs. 1 SGB 12 verlangte Nachweis erst mit Erlass dieses Bescheides möglich ist. Aus Gründen der Verwaltungspraktibilität hat der Gesetzgeber entscheidend auf den Zeitpunkt des Nachweises abgestellt.

3. Eine rückwirkende Gewährung des pauschalierten Mehrbedarfs widerspricht dem auf Behebung einer gegenwärtigen Notlage ausgerichteten System der Sozialhilfe. Hat der Hilfebedürftige die betreffenden Bewilligungsbescheide bestandskräftig werden lassen, so unterliegt er der verfassungsmäßigen verschärften Rückwirkungssperre gemäß § 116a SGB 12.

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 02.01.2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

I. Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b SGG in der seit dem 25.10.2013 geltenden Fassung ausgeschlossen. Vielmehr wäre in der Hauptsache die Berufung nach Maßgabe von §§ 143, 144 SGG ohne Zulassung statthaft. Auch wenn der Klageantrag nicht ganz eindeutig formuliert ist ("spätestens ab dem 01.12.2011"), begehrt der Kläger ausweislich der Klagebegründung die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) rückwirkend ab dem 30.07.2010. Unter Berücksichtigung der am 24.10.2013 erfolgten Nachzahlung des Mehrbedarfs für die Monate Januar bis März 2012 (190,74 Euro) und der Erledigung des Rechtsstreits insoweit (vgl. den Schriftsatz des Klägers vom 16.12.2013) begehrt der Kläger nunmehr noch Leistungen nach § 30 Abs. 1 SGB XII (17% der maßgeblichen Regelbedarfsstufe bzw. bis zum 31.12.2010 des maßgeblichen Regelsatzes, d.h. bis zum 31.12.2010 61,08 Euro monatlich und ab dem 01.01.2011 61,88 Euro monatlich) für die Zeit vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt deshalb den Betrag von 750,- Euro (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) deutlich. Im Übrigen stehen laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Klageverfahren im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und auch zu keinem Zeitpunkt während des Klageverfahrens versprach (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)).

1. Die gegenwärtig noch anhängige Klage auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII bzw. höherer Leistungen für die Zeit vom 30.07.2010 bis zum 31.12.2011 (zur Möglichkeit, die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 SGB XII durch entsprechende, hier noch nicht erfolgte eindeutige Erklärung zum alleinigen Gegenstand einer sozialgerichtlichen Klage zu machen, vgl. BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 11) ist unbegründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 07.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.09.2013 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn die Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII für die Zeit vor dem 01.01.2012.

Die Klage ist zwar nicht bereits deshalb ohne Aussicht auf Erfolg, weil der Kläger bis zum 31.12.2011 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom zuständige Jobcenter erhalten hat und dessen Beiladung nach § 75 Abs. 2 2. Alt SGG und Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG wegen der Bestandskraft der bis zum 31.12.2011 erlassenen Bewilligungsbescheide nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu. BSG, Urt. v. 19.05.1982 - 11 RA 37/81 -, juris Rn. 38). Vielmehr könnten Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 21 Satz 1 SGB XII nur dann von vornherein ausscheiden, wenn der Kläger tatsächlich als im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II Erwerbsfähiger bis zum 31.12.2011 dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen wäre (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 34), was in Anbetracht der aktenkundig...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?