Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Pflegegeld gem § 44 SGB 7. Begriff der Hilflosigkeit. Bestimmung des erforderlichen zeitlichen Aufwandes. erheblicher Hilfebedarf

 

Leitsatz (amtlich)

Zu Voraussetzungen und Inhalt des Pflegegeldes der Gesetzlichen Unfallversicherung nach § 44 SGB 7.

 

Orientierungssatz

1. Der Begriff der Hilflosigkeit gemäß § 44 SGB 7 entspricht dem der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 SGB 11, sodass die in § 14 Abs 4 SGB 11 genannten Verrichtungen, für die ein Hilfebedarf besteht, im Wesentlichen auch in der gesetzlichen Unfallversicherung heranzuziehen sind.

2.  Die in § 15 Abs 3 S 1 SGB 11 aufgeführten starren Mindestpflegezeiten sind zur Bestimmung des erforderlichen zeitlichen Aufwands allerdings nicht heranzuziehen, weil diese der der sozialen Pflegeversicherung eigenen Einteilung in Pflegestufen dienen. Diesen Pflegestufen folgt § 44 SGB 7 nach dessen Abs 2 aber nicht; dies wäre auch mit der für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht zu vereinbaren.

3. Richtungsweisend sind die Zahl der betroffenen Verrichtungen, der wirtschaftliche Wert der Hilfe und der damit verbundene zeitliche Aufwand. Wegen der Anknüpfung an das SGB 11 (insbesondere § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 11) ist ein erheblicher Hilfebedarf in der Regel anzunehmen bei Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Ein Hilfebedarf in erheblichem Umfang kann demgegenüber nicht angenommen werden, wenn dieser nur mit geringem Zeitaufwand verbunden ist.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 16.8.2007 sowie der Bescheid vom 7.7.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.3.2006 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.10.2004 ab dem 18.1.2005 Pflegegeld nach § 44 SGB VII zu bewilligen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger infolge des Arbeitsunfalls vom 13.10.2004 einen Anspruch auf Pflegegeld nach § 44 SGB VII hat.

Der Kläger arbeitete als Maschinist in einem Sand- und Kieswerk und hatte am 13.10.2004 einen Arbeitsunfall, als er einen Lkw bestieg, der bei einem Kippvorgang auf die Seite fiel. Er zog sich hierbei eine Fraktur von vier Rippen, eine Lungenkontusion, einen Kniebinnenschaden und eine Fraktur BWK VI sowie eine ausgeprägte Nervus peroneus-Lähmung am rechten Bein zu. Die Erstversorgung erfolgte in der Caritasklinik St. T. in S.. Vom 15.10.2004 bis 6.11.2004 wurde der Kläger in der Universitätsklinik H. stationär behandelt, wo am 04.11.2004 eine Operation am rechten Knie stattfand. Ab dem 16.11.2004 absolvierte er eine Reha-Maßnahme in der Klinik S. in M.-O., bei der ihn seine Frau begleitete. Diese Maßnahme musste der Kläger wegen einer tiefen Beinvenenthrombose, wegen der er erneut in der Uniklinik H. aufgenommen wurde, bis 1.12.2004 unterbrechen. Die Reha-Maßnahme in M. dauerte bis 19.12.2004, wobei im Abschlussbericht als Vorerkrankungen eine Hypertonie, Schlafapnoe, Adipositas per magna (Gewicht 120 kg), Hyperurikämie und Hyperlipidämie aufgeführt sind.

Am 18.1.2005 beantragten der Kläger und seine Ehefrau einen Zuschuss zur Reha-Maßnahme sowie Pflegegeld. Als Begründung wurde angeführt, die Ehefrau habe den Kläger begleiten müssen, weil er sich nicht habe anziehen können und das Pflegepersonal der Einrichtung überlastet gewesen sei.

Auf Anfrage der Steinbruchs-Berufsgenossenschaft, der Rechtsvorgängerin der Beklagten (künftig: BG), teilte die Klinik S. in O. am 11.4.2005 mit, der Kläger benötige zwei Gehstützen und eine Peroneusschiene, ansonsten könne er sich im Bereich Körperpflege, Ernährung und Mobilität selbständig oder mit Hilfsmitteln helfen; dies gelte auch für die hauswirtschaftliche Versorgung.

Nachdem die BG mit Bescheid vom 23.6.2005 den Antrag auf einen Zuschuss zur Reha-Maßnahme abgelehnt hatte, erließ sie am 7.7.2005 einen weiteren Bescheid über das beantragte Pflegegeld. Sie sah beim Kläger keine Hilfsbedürftigkeit oder Pflegebedürftigkeit im Sinne von § 44 SGB VII. Die Ehefrau habe ihn zwar bei der Maßnahme in M. pflegerisch unterstützt und damit zum positiven Verlauf der Maßnahme beigetragen. Dennoch sei der Kläger bei den Verrichtungen des täglichen Lebens nicht dauerhaft in erheblichem Umfang auf fremde Hilfe angewiesen. Die Verrichtungen des täglichen Lebens seien im Wesentlichen selbständig möglich und dies gelte auch für die Zeit nach der Entlassung aus der stationären Behandlung. Während dieser stationären Behandlung bestehe ohnehin kein Anspruch auf Pflegegeld.

Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger im Wesentlichen darauf,...

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