Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Altersrente im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bei Verletzung der Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers

 

Orientierungssatz

1. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch besteht, wenn ein Leistungsträger rechtswidrig Pflichten aus einem Sozialleistungsverhältnis verletzt und dadurch einen Schaden bewirkt, den er durch eine gesetzlich zulässige Amtshandlung ausgleichen kann (BSG Urteil vom 8. 11. 1995, 13 RJ 5/95). Diese Pflichten erwachsen dem Sozialleistungsträger regelmäßig dann, wenn von dem Berechtigten ein entsprechendes Beratungsbegehren ausgegangen ist oder sich ein Bedarf auf Auskunft, Beratung oder Betreuung anlässlich des konkreten Sachverhalts aufdrängt.

2. Nach § 109 Abs. 1 SGB 6 ist der Rentenversicherungsträger verpflichtet, den Versicherten, die das 27. Lebensjahr vollendet haben, jährlich eine schriftliche Renteninformation zu erteilen. Nach Vollendung des 55. Lebensjahres wird diese alle 3 Jahre durch eine Rentenauskunft ersetzt.

3. Normzweck des § 109 SGB 6 ist es, dem Versicherten eine gesicherte Informationsbasis zu verschaffen, welche Rentenanwartschaften er besitzt und mit welcher Rentenhöhe er rechnen kann. Die Regelung konkretisiert die Beratungs- und Auskunftspflichten nach den §§ 14 und 15 SGB 1.

4. Ist die Verletzung dieser Pflichten ursächlich für eine verspätete Rentenantragstellung, so hat der Rentenversicherungsträger nach dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch die sich aus der verspäteten Rentenzahlung ergebenden Nachteile zu tragen.

5. Der Versicherte ist danach so zu stellen, als ob er den Antrag auf Gewährung von Altersrente rechtzeitig mit Vollendung des 65. Lebensjahres gestellt hätte.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts für das Saarland vom 28.07.2016 sowie des Bescheides der Beklagten vom 19.08.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2015 verurteilt, der Klägerin - unter Zugrundelegung eines “fiktiven„ Rentenantrags bei Vollendung des 65. Lebensjahres im Dezember 2007 - ab dem 01.01.2010 Regelaltersrente unter entsprechender Neuberechnung der Rentenhöhe gemäß den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens in Höhe von 2/3 zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin, die seit dem 01.06.2014 eine Regelaltersrente bezieht, begehrt eine frühere Gewährung dieser Rente.

Die am 1942 geborene Klägerin ist verheiratet. Sie hat zwei Kinder, die am 16.12.1967 und am 27.10.1976 geboren wurden. Auf ihren Antrag vom 21.12.1967 wurden mit Bescheid vom 05.06.1968 die für die Zeit vom 03.05.1956 bis 30.10.1967 erworbenen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erstattet (Heiratserstattung). In der Zeit vom 05.03.1973 bis 19.09.1976 nahm sie erneut eine versicherungspflichtige Tätigkeit (bei der Firma BKS in D.) auf, für die ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 19.08.2014 Pflichtbeiträge abgeführt wurden. Von 01.05.1999 bis 31.01.2004 übte sie eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung aus. Ausweislich des maschinellen Kontenspiegels vom 24.06.2014 erstellte die Beklagte am 10.05.1988 einen Versicherungsverlauf mit Aufklärungsersuchen und KEZ-Anfrage, am 20.12.1988 einen Vormerkungsbescheid gemäß § 149 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und am 15.09.3003 einen weiteren Versicherungsverlauf, verbunden mit einem erneuten Aufklärungsersuchen und einer KEZ-Anfrage.

Mit einem am 18.06.2014 eingegangenen Schreiben vom 07.06.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente aufgrund von Kinderziehungszeiten und gab hierzu an, dass “sie in der Zeit von 1970 bis 1976 bei der Firma BKS in D.„ gearbeitet habe. In dieser Zeit seien Rentenversicherungsbeiträge gezahlt worden. Sie reichte hierzu die Geburtsurkunden ihrer beiden Kinder zu den Akten. Die Beklagte führte daraufhin ein Kontenklärungsverfahren durch, in dem die Klägerin u.a. angab, dass sie bei Vollendung des 65. Lebensjahres der Meinung gewesen sei, dass ihr aufgrund der Heiratserstattung kein Rentenanspruch zustehe, nachdem sie anschließend nicht ununterbrochen beschäftigt gewesen sei. Sie bitte um Gewährung der Rente ab Beginn des 65. Lebensjahres (Schreiben vom 14.07.2014). In einem daraufhin erstellten Vermerk der Beklagten vom 14.08.2014 ist festgehalten, dass ein Rentenanspruch bereits am 01.01.2008 hätte bestehen können, sofern bekannt gewesen wäre, dass die Klägerin zwei Kinder erzogen habe. Sie sei am 15.09.2003 (vier Jahre vor Vollendung des 65. Lebensjahres) aufgefordert worden, eine Kontenklärung durchzuführen. Dieser Aufforderung sei sie nicht nachgekommen. Ein “geeigneter Fall„ im Sinne des § 115 Abs. 6 SGB VI habe nicht vorlegen. Mit Bescheid vom 19.08.2014 bewilligte die Beklagte sodann eine Regelaltersrente i.H.v. 179,75 Euro/Monat aufgrund...

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