Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Umzug ins europäische Ausland. Erlöschen der Schwerbehinderteneigenschaft iS des § 2 Abs 2 SGB 9. Inlandsbezug. Vergünstigungen bei Besuchen im Inland nicht ausreichend. keine Anwendung der EGRL 78/2000 auf Systeme der sozialen Sicherheit
Orientierungssatz
1. Ein Umzug ins Ausland (hier Frankreich) führt zum Erlöschen der Schwerbehinderteneigenschaft iS des § 2 Abs 2 SGB 9, wenn der behinderte Mensch im Anschluss weder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des SGB 9 noch einen Arbeitsplatz iS des § 73 SGB 9 innehat.
2. Eine Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft iS des § 2 Abs 2 SGB 9 kommt nicht unter dem Gesichtspunkt in Betracht, dass der behinderte Mensch bei seinen Besuchen in Deutschland bei Vorlage des Schwerbehindertenausweises Vergünstigungen etwa beim Eintritt in kulturelle Einrichtungen genießt.
3. Ein solcher "Inlandsbezug" wäre allenfalls von Bedeutung, wenn es nicht um die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, sondern um die Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) ginge (vgl BSG vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/06 R = SozR 4-3250 § 69 Nr 5).
4. Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (juris: EGRL 78/2000) gilt nicht für Leistungen von staatlichen Systemen der sozialen Sicherheit.
Normenkette
SGB IX § 2 Abs. 2, § 69 Abs. 5, § 73; EGRL 78/2000 Art. 3 Abs. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 18.01.2011 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Wegfall der Feststellung der Schwerbehinderung aufgrund des Auslandswohnsitzes der Klägerin.
Die ... 1945 geborene Klägerin stellte am 21.08.1995, als sie noch in K... wohnhaft war, erstmals einen Antrag auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) nach den Bestimmungen des damals noch geltenden Schwerbehindertengesetzes (SchwbG).
Auf diesen Antrag hin stellte das Versorgungsamt D... mit Bescheid vom 15.01.1996 einen GdB von 100 und das gesundheitliche Merkzeichen “G„ fest.
Mit Bescheid vom 12.03.2001 wurde der GdB auf 60 herabgesetzt und festgestellt, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ nicht mehr vorlägen.
In der Folge wurde mit Bescheid vom 22.07.2002 der GdB wieder auf 80 heraufgesetzt; mit Bescheid vom 07.05.2004 wurde dann ein Gesamt-GdB von 100 festgestellt; gesundheitliche Merkzeichen wurden nicht anerkannt.
Mit Bescheid vom 23.03.2009 teilte der Oberbürgermeister der Stadt K... der Klägerin, die zwischenzeitlich ihren Wohnsitz in Frankreich genommen hatte, mit, dass sie kein schwerbehinderter Mensch i.S.d. 9. Buches des Sozialgesetzbuchs, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sei, weil sie ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung nicht im Geltungsbereich des SGB IX habe.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 08.07.2009 als unbegründet zurückgewiesen wurde. In den Gründen des Widerspruchsbescheides wurde u.a. ausgeführt, gem. § 2 Abs. 2 SGB IX seien Menschen im Sinne des Teils 2 (Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen) schwerbehindert, wenn bei Ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliege und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes hätten. Nach § 30 Abs. 3 des 1. Buches des Sozialgesetzbuchs, Allgemeiner Teil (SGB I) habe einen Wohnsitz jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehabe, die darauf schließen ließen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen werde. Den gewöhnlichen Aufenthalt habe jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Diese Voraussetzungen seien bei dem Kläger nicht erfüllt, da er seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt nunmehr in Frankreich habe. Ferner liege ein Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX ebenfalls nicht vor. Arbeitsplätze im Sinne dieses Gesetzbuches seien Stellen, auf denen Arbeitnehmer/innen, Beamte/innen, Richter/innen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt seien. Für den Fall, dass in Deutschland Steuern gezahlt würden und insofern Steuererleichterungen nach dem Einkommensteuerrecht in Anspruch genommen würden, sehe die derzeitige Rechtslage jedoch Ausnahmetatbestände vor. In diesem Fall könnte eine entsprechende Bescheinigung zur Inanspruchnahme von Steuererleichterungen nach dem Einkommensteuergesetz ausgestellt werden. Auch die übrigen Ausnahmetatbestände (in Deutschland arbeitslos gemeldet oder die konkrete Inanspruchnahme der Altersrente) seien im Falle des Klägers nicht gegeben. Allein die Zahlung von Grundbesitzabgaben (G...