Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Auslegung von Verwaltungsakten. Übernahme von Bestattungskosten. Verpflichteter. Ausschlagung der Erbschaft. öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht. Nachrücken nach Versterben eines vorrangig Bestattungspflichtigen. Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Fälligkeit der Bestattungskosten. Zumutbarkeit der Kostentragung. Verweisung auf Ausgleichsansprüche gegen Dritte. unbekannt verzogener Erbe
Leitsatz (amtlich)
1. Die Grundsätze über die Auslegung von Willenserklärungen sind auch auf behördliche Erklärungen zur Bestimmung des Regelungsinhaltes eines Verwaltungsaktes anzuwenden. Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt der Erklärung, wie sie der Empfänger bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls unter Beachtung des tatsächlichen und zeitlichen Gesamtzusammenhangs objektiv verstehen musste.
2. Folgt die Pflicht zur endgültigen Tragung der Bestattungskosten im Sinne von § 74 SGB XII aus der öffentlichen-rechtlichen Verpflichtung zur Besorgung der Bestattung des Verstorbenen, so entsteht diese Verpflichtung mit dem Moment, in dem die anspruchsstellende Person bestattungspflichtig nach den anwendbaren landesrechtlichen Vorschriften wird, auch wenn sie erst in diese Stellung wegen Versterbens der vorrangig bestattungspflichtigen Person einrückt. Die originäre oder übergegangene Bestattungsverpflichtung endet erst mit Beseitigung des öffentlich-rechtlichen Gefahrentatbestands durch vollständigen Abschluss des Bestattungsvorgangs. Die Bestattungsverpflichtung reduziert sich gerade nicht auf die Beauftragung eines Bestattungsunternehmens.
3. Da Gegenstand des Anspruchs nach § 74 SGB XII nicht die Bestattung als solche, sondern der Kostenersatz im Zeitpunkt des Fälligwerdens der jeweiligen Verpflichtungen ist (vgl BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 20/10 R = BSGE 109, 61 = SozR 4-3500 § 74 Nr 2 und vom 4.4.2019 - B 8 SO 10/18 R = SozR 4-3500 § 74 Nr 3), ist folglich allein maßgeblich, ob zum Zeitpunkt des Fälligwerdens der Zahlverpflichtungen eine Stellung als Verpflichteter im Sinne der Norm gegeben ist; wer die einzelnen Bestattungshandlungen im Vorfeld in Auftrag gegeben hat, ist insoweit irrelevant.
4. Die bestattungspflichtige Person braucht sich im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung des § 74 SGB XII nicht auf einen gänzlich unwahrscheinlichen Erstattungsanspruch aus § 1968 BGB gegenüber einem nach unbekannt verzogenen und sogar vom Nachlassgericht nicht weiter ermittelten Erben verweisen zu lassen. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BSG (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R = BSGE 104, 219 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1, RdNr 25) ausdrücklich an.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 28.09.2018 dahingehend abgeändert, dass die in Nr. 2) ausgesprochene Verurteilung des Beklagten, der Klägerin die tatsächlich angefallenen Kosten für die Bestattung der Verstorbenen K. A. zu erstatten, auf 1.997,18 Euro festgesetzt und gleichzeitig beschränkt wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 4/5.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten der Bestattung für die verstorbene Mutter der Klägerin nach Maßgabe des § 74 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Die 1985 geborene Klägerin ist die Tochter der 2017 in A-Stadt verstorbenen K. A., geb. W. - nachfolgend die Verstorbene - und des 2017 verstorbenen H.-J. A.. Die Klägerin hat keine Geschwister.
Die Verstorbene hat eine Schwester, P. Sch., die ihrerseits verheiratet ist und eine Tochter, M. Sch., hat. Die Großeltern mütterlicherseits, I. und A. W., wohnhaft in A-Stadt, leben noch. Die Großeltern väterlicherseits waren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben; neben dem Ehemann der Verstorbenen hatten sie noch eine Tochter, Cl. Sc.. Diese lebt noch und hat ihrerseits drei Kinder: Ke. Sc., An. E. und Br.. Ersterer hat keine Kinder, zu zweiterer besteht keinerlei Familienkontakt mehr nach ihrem Wegzug ins Ausland, wobei die Meldedaten nicht zu ermitteln sind und letztere hat ihrerseits zwei Kinder: Eine Tochter, Sy. Sc. und einen mit ihrem jetzigen Ehemann, Sa. Br., gemeinsamen Sohn, T. Sc..
Zum Todeszeitpunkt bezog die Verstorbene Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Jobcenter im Regionalverband A-Stadt in Höhe von 599,00 Euro monatlich. Ihr Ehemann bezog eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See in Höhe von 515,00 Euro monatlich sowie ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Beklagten in Höhe von zuletzt monatlich 96,87 Euro.
Unter dem 06.10.2017 beantragte die Klägerin im Namen ihres zu diesem Zeitpunkt in einer Spezialklinik in L. im Koma gelegenen Vaters, zu dessen gerichtlich bestellter Betreuerin sie vom Amtsgericht L. - Betreuungs- und Familiengericht...